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Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0044
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Dieter Henrich

elementaren Aussagen seien notwendigerweise Aussagen über Objekte
und nicht über jene einfachen Gegebenheiten, die er <Empfindungen>
nannte.
In der Perspektive der gegenwärtigen Semantik ist zwischen der
Nennung der richtigen Bezeichnungen in einer Situation, in der das
Bezeichnete gegeben ist, und Prädizierungen im vollen Sinn dieses
Begriffes der wichtige Unterschied zu sehen, daß nur im Fall der
Prädizierung die Allgemeinheit der Bezeichnung und damit ein Prä-
dikat in dem für es konstitutiven Sinn erfaßt ist10. Ohne daß davon,
worin die Allgemeinheit eines Prädikats besteht, eine Vorstellung ent-
wickelt ist, hat aber auch der Gedanke von der Singularität des Ein-
zelnen keinen Sinn. Denn von einem Einzelnen weiß man nur dann,
wenn man den Unterschied zwischen demselben x> und <noch einem x>
zu machen imstande ist. Um ein Einzelnes als solches zu thematisieren,
müssen also Kriterien der Identität von Einzelnem für den Bereich
von Einzelnen zumindest unterstellt und im Prinzip auch beherrscht
werden, in dem das allgemeine Prädikat anzuwenden ist. Zuvor ist
schon festgestellt worden, daß Kant diese Analyse nicht zur Ver-
fügung stand11. Die Texte der kritischen Philosophie müssen darum,
sofern sie das überhaupt tun, ihre These über den Zusammenhang von
elementaren Sätzen der Subjekt-Prädikatform und Objektbegriff auf
irgendeine andere Weise einleuchtend machen.
Wirklich findet sich bei Kant eine Überlegung zur Form des Urteils
als Synthesis, die von der anderen Überlegung, die Kant mit Platon
teilt, ganz verschieden ist, — trotz scheinbarer Ähnlichkeit im Wort-
laut. Sie steht eher in einem aristotelischen Traditionszusammenhang,
den sie in die neuen theoretischen Bedingungen einer Konstitutions-
analyse einbezieht. Diese Überlegung ist allerdings nur von wenigen
Stellen des kantischen Nachlasses genügend deutlich angezeigt. Und
die Gründe, welche diese Stellen tragen können, lassen sich nicht mit
den Mitteln der Textexegese allein, sondern nur in einem mit selb-
ständigen Erörterungen von Sachzusammenhängen gewinnen.
(b) Es hatte sich schon gezeigt, daß für Aussagen über Realisierungs-
fälle von einfachen Qualitäten (Qualia), sofern Aussagen über sie
10 Nach W. V. Quine definiert dieser Zusammenhang sogar den Sinn von <Prädi-
zierung>. Vgl. z. B. <Speaking of Objects> (1957), in: <Ontological Relativity>,
New York 1969, und zuletzt in <The Roots of Reference>, La Salle 1974.
11 Vgl. oben S. 26/7.
 
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