Metadaten

Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0066
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
56

Dieter Henrich

Subjekt des Denkens sind solche Eigenschaften nicht enthalten. Damit
ergibt sich die Frage, wie man die Einheit des Subjekts des Denkens
zur Personalität dessen, der denkt, in Beziehung zu bringen hat. Wie
immer sie aber auch zu beantworten ist, — das Subjekt als solches muß,
wie Kant sagt, als dogisch einfach> gedacht werden.
Damit unterscheidet es sich grundsätzlich von den Inhalten seiner
Gedanken, zu denen es in einer Korrelation steht: Diese Inhalte sind
stets mannigfaltige oder, zusammengenommen, ein Mannigfaltiges.
Denn vieles kann von dem denkenden Subjekt gedacht werden, wel-
ches, da es selbst einfach ist, dem, was es denkt, nichts an Inhalt hinzu-
fügen kann. Zwar läßt sich in abstracto der Gedanke von einem Sub-
jekt fassen, das nur auf einen einzigen Inhalt bezogen und das in dieser
einzigen Beziehung so einfach ist wie ein Subjekt, welches sich, so wie
wir, einer Mannigfaltigkeit von möglichen Gedanken bewußt wird.
Des weiteren läßt sich, aber wiederum nur in abstracto, der Gedanke
von einem Subjekt fassen, das zu jedem seiner Gedanken jeweils
aufgrund bestimmter Eigenschaften bezogen ist, die ihm als Subjekt
zukommen. In beiden Gedanken ist jedoch das Eigentümliche der
Subjektivität entfallen, deren wir uns im Denken bewußt sind: Ein-
fach und doch zugleich auf Mannigfaltiges bezogen zu sein.
Beide Eigenschaften zusammen haben zur Folge, daß unser Bewußt-
sein als Einheitsprinzip bestimmt werden muß. Seine Einheit ergibt sich
aus seiner Leere von aller spezifischen Bestimmung in seiner Beziehung
auf mannigfaltige Inhalte. Diese Inhalte sind im einfachen Bewußt-
sein als ein Inbegriff des Denkbaren aufzufassen: Alle Gedanken
gehören in der gleichen Weise zu Einem Bewußtsein in ihnen. Diesen
strukturellen Aspekt des Selbstbewußtsein hatte David Hume im
Auge, als er feststellte, daß unsere Wahrnehmungen allesamt einem
einzigen «Bündel» zugehören23. Der Sachverhalt, daß Vorstellungen
jeweils in einem solchen Bündel auftreten, scheint nicht bloß zufällig
zu sein, sondern unabhängig von aller Erfahrung festzustehen. Für
Kant erklärt die Einfachheit des Subjekts seinen Status als Einheits-
prinzip unseres Denkens, und zwar über den zusätzlichen Gedanken,
daß das einfache Subjekt Subjekt von mannigfachen Gedanken ist.
Die Einfachheit des Subjekts schließt somit bereits ein, daß es möglich
sein muß, von diesem Einheitsprinzip zu sagen, daß es ein und dasselbe
in allen seinen Gedanken sei.
23 David Hume <A Treatise of Human Nature>, Buch I, Teil IV, Sektion 6,
Abschnitt 4.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften