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Dieter Henrich
gemacht worden; und die Philosophie des zweiten Drittels des 18. Jahr-
hunderts enthält zu viele Einwände gegen diese Definition und weist
zu überzeugend auf die Absurditäten hin, zu denen sie führt, als daß
man Kant unterstellen könnte, er habe den Erfolg seiner Deduktion
von solcher Argumentation abhängig machen können.
Noch wichtiger ist, daß Kant von sachlichen Gründen dazu ge-
zwungen wird, den gemäßigten Identitätsbegriff auch auf die Einheit
der Apperzeption anzuwenden. Denn er kann nicht umhin, dem
Subjekt auch solche Zustände zuzuschreiben, die sich nach dem Modell
einer Interpretation von Zuständen aus strikter Identität, das soeben
vorgeführt worden ist, gar nicht interpretieren lassen. So war es für
den Gedanken von der transzendentalen Einheit der Apperzeption
konstitutiv, daß das Bewußtsein <Ich denke> jederzeit zu jedem Vor-
stellungszustand des Subjektes hinzutreten kann. Dieses Bewußtsein
muß weiterhin als das Resultat einer Aktivität aufgefaßt werden,
die <Reflexion> heißt und die vom Subjekt auszuüben ist und somit
jederzeit ausgeübt werden kann. Tritt also hinsichtlich eines Vor-
stellungskomplexes das Bewußtsein <Ich denke (diesen Vorstellungs-
komplex) > wirklich ein, so ist damit der Gesamtzustand des Subjektes
verändert, und zwar nicht nur dadurch, daß Vorstellungsinhalte durch
andere ersetzt worden sind, sondern in der Weise, wie das Subjekt
auf konstante Inhalte bezogen ist. Reflexionen müssen also als wirk-
liche Zustandsänderungen des Subjektes qua Subjekt anerkannt wer-
den, die dennoch dessen Identität unberührt lassen. Dann aber muß
die Identität, welche dem Subjekt zukommt, Identität im gemäßigten
Sinne sein.
An der Notwendigkeit, dies zuzugestehen, scheitert auch eine Argu-
mentation, die sich in Kants Texten wirklich findet und die deutlich
macht, wie anfällig sein gesamter Gedankengang für die Versuchung
war, sich auf den Identitätsbegriff im strikten Sinne einzulassen. Im
Kapitel über die Paralogismen der rationalen Psychologie der ersten
Auflage der Kritik führt Kant aus, das Selbst dürfe nicht als beharrlich
angesehen werden, weil Beharrung in Beziehung auf Wechsel zu
denken ist, aller Wechsel aber im Selbst und nicht in Beziehung auf es
stattfindet, da doch die Zeit nichts als die Form seiner Anschauung ist
(A 362 ff.). Würde man dieses Argument als Kants letztes Wort zu
der Frage nehmen, ob dem Selbst Zustände zugeschrieben werden
können, so würde es in der Tat darauf hinauslaufen, daß das tran-
szendentale Subjekt Identität im Sinne von strikter Identität auf-
weisen muß. In Wahrheit reicht es nur dazu aus, die Ständigkeit des
Dieter Henrich
gemacht worden; und die Philosophie des zweiten Drittels des 18. Jahr-
hunderts enthält zu viele Einwände gegen diese Definition und weist
zu überzeugend auf die Absurditäten hin, zu denen sie führt, als daß
man Kant unterstellen könnte, er habe den Erfolg seiner Deduktion
von solcher Argumentation abhängig machen können.
Noch wichtiger ist, daß Kant von sachlichen Gründen dazu ge-
zwungen wird, den gemäßigten Identitätsbegriff auch auf die Einheit
der Apperzeption anzuwenden. Denn er kann nicht umhin, dem
Subjekt auch solche Zustände zuzuschreiben, die sich nach dem Modell
einer Interpretation von Zuständen aus strikter Identität, das soeben
vorgeführt worden ist, gar nicht interpretieren lassen. So war es für
den Gedanken von der transzendentalen Einheit der Apperzeption
konstitutiv, daß das Bewußtsein <Ich denke> jederzeit zu jedem Vor-
stellungszustand des Subjektes hinzutreten kann. Dieses Bewußtsein
muß weiterhin als das Resultat einer Aktivität aufgefaßt werden,
die <Reflexion> heißt und die vom Subjekt auszuüben ist und somit
jederzeit ausgeübt werden kann. Tritt also hinsichtlich eines Vor-
stellungskomplexes das Bewußtsein <Ich denke (diesen Vorstellungs-
komplex) > wirklich ein, so ist damit der Gesamtzustand des Subjektes
verändert, und zwar nicht nur dadurch, daß Vorstellungsinhalte durch
andere ersetzt worden sind, sondern in der Weise, wie das Subjekt
auf konstante Inhalte bezogen ist. Reflexionen müssen also als wirk-
liche Zustandsänderungen des Subjektes qua Subjekt anerkannt wer-
den, die dennoch dessen Identität unberührt lassen. Dann aber muß
die Identität, welche dem Subjekt zukommt, Identität im gemäßigten
Sinne sein.
An der Notwendigkeit, dies zuzugestehen, scheitert auch eine Argu-
mentation, die sich in Kants Texten wirklich findet und die deutlich
macht, wie anfällig sein gesamter Gedankengang für die Versuchung
war, sich auf den Identitätsbegriff im strikten Sinne einzulassen. Im
Kapitel über die Paralogismen der rationalen Psychologie der ersten
Auflage der Kritik führt Kant aus, das Selbst dürfe nicht als beharrlich
angesehen werden, weil Beharrung in Beziehung auf Wechsel zu
denken ist, aller Wechsel aber im Selbst und nicht in Beziehung auf es
stattfindet, da doch die Zeit nichts als die Form seiner Anschauung ist
(A 362 ff.). Würde man dieses Argument als Kants letztes Wort zu
der Frage nehmen, ob dem Selbst Zustände zugeschrieben werden
können, so würde es in der Tat darauf hinauslaufen, daß das tran-
szendentale Subjekt Identität im Sinne von strikter Identität auf-
weisen muß. In Wahrheit reicht es nur dazu aus, die Ständigkeit des