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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0046
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Uvo Hölscher

Den Fehler des Parmenides schien man damit allerdings manifest machen
zu können, weil er dies bloße sprachliche Zugehörigkeitszeichen isoliert,
als das Sein hypostasiert und schließlich zum Seienden vergegenständlicht
hätte. Wir halten dagegen jetzt fest, was sich aus dem historischen Regreß
dieser Untersuchung ergeben hat: der Satz des Parmenides ist von vorn-
herein das einfache Sagen und Denken eines Seienden — des Seienden in
der Position des Prädikats. Das einfache Sein pflegen wir nur in seinem
absoluten Gebrauch zu erkennen, und dort vorschnell auf die existentiale
Bedeutung festzulegen. Diese ist aber nur ein Sonderfall. Die ursprünglichere
und zugleich umfassendere lernen wir kennen aus Sätzen wie: es ist heiß,
es war Nacht, es ist Hermogenes. Die Form solcher Sätze ist nicht die von
a ist b, sondern die einfache Seinsaussage von b; die aber keinesfalls mit
der Aussage der Existenz zu fassen ist. Es besteht, für das frühgriechische
Bewußtsein, kein grundsätzlicher Unterschied zwischen solchen Aussagen
und eigentlichen Prädikationen wie: der Mann dort ist Hermogenes oder
die Luft ist heiß. Das ist gehört jedesmal zu Hermogenes, zu dem Heißen:
diese sind das Seiende, das in der Prädikation ausgesagt wird. Für ein
solches Seinsverständnis besteht auch nicht der Unterschied von Identifikation
und Attribution, wie sie für neuzeitliche Logik in den beiden Beispielsätzen
vorliegen.
Der erste Satz des Parmenides, όπως έστιν, formuliert die Seinsaussage
in der allgemeinsten Form, in dem Sinne, daß etwas ein Seiendes ist. Er ist
nicht als These gemeint, sondern nennt die eine Möglichkeit der Aussage:
sie bildet mit dem Gegensatz ώς ούκ έστιν eine vollständige Disjunktion,
in der, nach Parmenides, die Möglichkeiten so des Sagens wie des Denkens
erschöpft werden. Und wie die erste Aussage nicht im Sinne der Existenz,
sondern der Prädikation zu interpretieren war, so ist der zweite Satz nicht
Aussage der Nichtexistenz oder des absoluten Nichts, sondern die allgemeine
Form der negativen Prädikation: daß etwas nicht ist.
Es ist hier weder möglich noch nötig, die parmenideische Ontologie weiter
zu verfolgen: wie er über die Ausschließung des Gegen-Satzes — die «Un-
denkbarkeit» des «Nichtseienden» — zu der Konklusion gelangt: daß nur
das Seiende ist. In diesem ganzen Beweisgang aber, wie auch in der folgen-
den Deduktion der Eigenschaften des Seienden, werden keine Sprünge, keine
Verwechslungen eines kopulativen mit dem existentialen Sein gemacht, son-
dern stets der eine Sinn von sein durchgehalten, der sich als das einfache
Sein der Prädikation herausgestellt hat.
Will man trotzdem nach dem Fehler des Parmenides fragen — und daß
ein Fehler vorliegt, zeigt das paradoxe Resultat — so ist er wohl dort
zu suchen, wo ihn Aristoteles fand, in der Auffassung des Seienden selber
als Substanz; wie er es grundsätzlich, und auch gerade mit kritischer Be-
ziehung auf Parmenides, in der Metaphysik erklärt: ούτε το έν ούτε το
ύν ένδεχεται ούσιαν είναι των πραγμάτων (1040 b 18).
 
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