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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1977, 5. Abhandlung): Euripides' Medea: vorgetragen am 20. November 1976 — Heidelberg: Winter, 1977

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https://doi.org/10.11588/diglit.45466#0019
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Euripides’ Medea

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aber verwehrt ist. Was man von einer γυνή σώφρων, einer sittsam-ver-
ständigen Frau zu erwarten habe, sagt Jason unmißverständlich in seiner
Antwort auf Medeas Trugrede, nämlich Fügsamkeit gegenüber der über-
legenen Kraft und Einsicht des Mannes30. Wenn Medea diese Fügsam-
keit heuchelt, entspricht sie den Erwartungen ihrer Umwelt, und das
stärkt die Glaubwürdigkeit ihrer Trugrede. In Wahrheit kommt ihr Tun
aus gänzlicher Unabhängigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber den
Erwartungen ihrer Umwelt, aus αύθαδία, wie sie es selbst nennt. Diese
Unabhängigkeit ist aber viel weniger Resultat starker Emotion als Aus-
fluß ihres überlegenen Verstandes und des Bewußtseins, das sie von dieser
Überlegenheit hat. Deshalb auch die explizite Berufung auf die für sie
verbindlichen Maßstäbe des Handelns.
Wenn Medea sich dann im Verlauf des Stückes auch fähig zeigt, dem
Leitbild männlich-kriegerischen Handelns Genüge zu tun, so nicht wegen
ihrer Zauberkunst oder ihrer göttlichen Abkunft. Es ist einzig ihr über-
ragender Intellekt, der sie allen Kontrahenten überlegen macht. Die
schon erwähnten drei Dialoge mit Kreon, Jason und Aigeus demonstrie-
ren, daß Medea alle ihre männlichen Partner, ob Feind oder Freund, mit
der Kraft ihres Verstandes überwindet und in den Dienst ihrer Absichten
stellt. Kreon und Jason müssen gegen ihren Willen an dem gegen sie
selbst gerichteten Rachewerk mithelfen. Die Verstandesschärfe Medeens
befähigt sie zur Erfüllung des männlich-kriegerischen Lebensideals, das
sie sich gewählt hat.
Die Tragik der euripideischen Medea gründet sich auf der anderen
Seite darauf, daß sich in ihr diese Verstandeskraft mit den voll entfalteten
Gefühlen einer Frau und Mutter verbindet. Mit der ersten vermag sie
alle männlichen Gegner zu überwinden und sich Genugtuung im Sinn
eines männlich-heroischen Ehrenkodex zu verschaffen. Der ingeniöse
Plan aber, mit dem sie dieses bewirkt, zerstört durch den dabei notwen-
digen Mord an den Kindern die Grundlage ihres Lebens als Frau und
Mutter. Der Racheplan ist Resultat eines an vorgegebenen Verhaltens-
regeln orientierten Kalküls, nicht aber, wie bei den Nachfolgern des
Euripides, Ausfluß einer übermächtigen Leidenschaft. Darum ist die
zweite Hälfte des euripideischen Stückes erfüllt von dem Kampf, den
Medeas Gefühle und Leidenschaften gegen die Ausführung des Planes
führen. Dieser Kampf findet seinen Höhepunkt im scheinbar endgültigen
Sieg des θυμός am Ende des großen Monologes. Indessen ist der Plan,
aus Medeas überlegenem Intellekt geboren, schlechthin unwiderstehlich.
Medea wird, trotz gelegentlicher Zweifel31 am Gelingen der ersten
Etappe, zur Gefangenen ihrer eigenen Vorkehrungen. Was sie souverän
 
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