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Albrecht Dihle
immer den großen Racheplan, der die Tötung der Kinder einschließt (372; 769;
772; 1044; 1048), und nur einmal in ihrer Trugrede einen Beschluß Jasons (886).
Im Hinblick auf den Racheplan wird das Wort βουλεύω beinahe leitmotivisch ein-
geführt, nämlich in den Worten der Amme am Anfang des Stückes (37 δέδοικα
δ’ αύτήν μή τι βουλεύση νέον) und in der Selbstanrede Medeas (402 βουλεύουσα
καί τεχνωμένη).
Dieser schon wiederholt festgestellte Befund (zuletzt R. Kassel, Rh. Mus. 1973,
102) macht es schwer, den berühmten Vers 1079 (θυμός δέ κρείσσων τών έμών
βουλευμάτων) im herkömmlichen Sinn zu verstehen, demzufolge der θυμός Medea
zur Bluttat treibt, ihre Vernunft aber - leider in der schwächeren Position -
dagegen opponiert.
Dillers geistreicher Übersetzungsversuch „meine Leidenschaft ist Herr über
meine Pläne“ (Herrn. 94, 1966, 267ff. = Kl. Schriften, München 1971, 359-69),
der ähnlich schon von J. J. Walsh (Aristotle on Moral Weakness, New York 1963,
19) vorgeschlagen wurde, hat Zustimmung und Ablehnung gefunden, Zustimmung
z. B. bei Snell, Steidle und H. Rohdich (Die Euripideische Tragödie, Heidelberg
1968, 64). Mit jeweils verschiedenen Gründen haben R. Kassel (a. a. O.) und W. W.
Fortenbaugh (Greek Rom. Byz. Stud. 11, 1970, 238) widersprochen. Ein weiteres
sprachliches Argument sollte dabei nicht übersehen werden. Diller erinnert an
οί κρείσσονες als Bezeichnung der Götter und will es durchweg als οί κρατούντες
verstehen. Der Ausdruck ist indessen gewiß ebenso oft mit einem οί φέρτεροι
synonym (vgl. E. Fraenkel zu Aesch. Ag. 60). - Andre Rivier (Entr. Fond. Hardt 6,
1958, 60ff.) meint, βουλεύματα bezeichne sowohl den Racheplan (1049) als auch
(1078f.) „l’intelligence associee ä l’amour maternel qui fait face ä l’expansion du
θυμός“. Das sei möglich, weil der θυμός im Verlauf des Stückes weitgehend objek-
tiviert und dämonisiert werde, daß er nicht mehr eigentlich ein psychologischer
Faktor sei, obgleich Medea sich mit ihm identifiziere. Hier hat wohl der Gedanke
an das seit Neophron (ήδη γάρ με φοινία μεγαν/ δέδυκε λύσσα θυμόν) in der dra-
matischen Tradition so beliebte Wahnsinnsmotiv Pate gestanden, das bei Euripi-
des am Anfang zwar anklingt (265f.; 432), im weiteren Verlauf des Stückes aber
völlig zurücktritt. Andere legen dar, daß βούλευμα nicht auf den präzisen Sinn
„Plan“ festgelegt werden dürfe, sondern auch die Reflexion auf das eigene Tun
bedeuten könne (A. Lesky, Entr. Fond. Hardt 1960, 83; E. Schlesinger, Herrn. 94,
1966, 29; W. W. Fortenbaugh, Greek Rom. Byz. Stud. 11, 1970, 237, etwas ab-
weichend H. Strohm, Euripides, München 1957,103). Das mag für den allgemeinen
Wortgebrauch hin und wieder zutreffen, in der ‘Medea’ hingegen ist das Wort
eindeutig determiniert, wie oben dargelegt wurde. W. W. Forthenbaugh ist diesem
Gedanken am konsequentesten nachgegangen, weil er die ‘Medea’ für die Vorge-
schichte der aristotelischen Psychologie zu reklamieren sucht.
Zweifellos lassen sich auch bei Euripides Anhaltspunkte dafür finden, daß man
der Vernunft zwei jeweils auch unabhängig voneinander wahrgenommene Funk-
tionen zuschreibt, wie es eben Aristoteles tut: Die Planung des Handelns ist eine
gleichsam nur technisch, nach dem Grad der Wirksamkeit zu bewertende Vernunft-
leistung, während sich das moralische Urteil auf die Beherrschung und Steuerung
der Emotionen durch die Vernunft vor und bei dem Handeln richtet. Allerdings
läßt sich eben doch in der ‘Medea’ beides nicht so scharf voneinander sondern, wie
es Fortenbaugh vorschwebt. Medeas erste Rachepläne werden unmittelbar durch
Emotionen wie Eifersucht und Haß ausgelöst, und dabei ist von einer Kontrolle
der Emotionen durch die Vernunft nichts zu spüren. Am Übermaß der Emotionen
Albrecht Dihle
immer den großen Racheplan, der die Tötung der Kinder einschließt (372; 769;
772; 1044; 1048), und nur einmal in ihrer Trugrede einen Beschluß Jasons (886).
Im Hinblick auf den Racheplan wird das Wort βουλεύω beinahe leitmotivisch ein-
geführt, nämlich in den Worten der Amme am Anfang des Stückes (37 δέδοικα
δ’ αύτήν μή τι βουλεύση νέον) und in der Selbstanrede Medeas (402 βουλεύουσα
καί τεχνωμένη).
Dieser schon wiederholt festgestellte Befund (zuletzt R. Kassel, Rh. Mus. 1973,
102) macht es schwer, den berühmten Vers 1079 (θυμός δέ κρείσσων τών έμών
βουλευμάτων) im herkömmlichen Sinn zu verstehen, demzufolge der θυμός Medea
zur Bluttat treibt, ihre Vernunft aber - leider in der schwächeren Position -
dagegen opponiert.
Dillers geistreicher Übersetzungsversuch „meine Leidenschaft ist Herr über
meine Pläne“ (Herrn. 94, 1966, 267ff. = Kl. Schriften, München 1971, 359-69),
der ähnlich schon von J. J. Walsh (Aristotle on Moral Weakness, New York 1963,
19) vorgeschlagen wurde, hat Zustimmung und Ablehnung gefunden, Zustimmung
z. B. bei Snell, Steidle und H. Rohdich (Die Euripideische Tragödie, Heidelberg
1968, 64). Mit jeweils verschiedenen Gründen haben R. Kassel (a. a. O.) und W. W.
Fortenbaugh (Greek Rom. Byz. Stud. 11, 1970, 238) widersprochen. Ein weiteres
sprachliches Argument sollte dabei nicht übersehen werden. Diller erinnert an
οί κρείσσονες als Bezeichnung der Götter und will es durchweg als οί κρατούντες
verstehen. Der Ausdruck ist indessen gewiß ebenso oft mit einem οί φέρτεροι
synonym (vgl. E. Fraenkel zu Aesch. Ag. 60). - Andre Rivier (Entr. Fond. Hardt 6,
1958, 60ff.) meint, βουλεύματα bezeichne sowohl den Racheplan (1049) als auch
(1078f.) „l’intelligence associee ä l’amour maternel qui fait face ä l’expansion du
θυμός“. Das sei möglich, weil der θυμός im Verlauf des Stückes weitgehend objek-
tiviert und dämonisiert werde, daß er nicht mehr eigentlich ein psychologischer
Faktor sei, obgleich Medea sich mit ihm identifiziere. Hier hat wohl der Gedanke
an das seit Neophron (ήδη γάρ με φοινία μεγαν/ δέδυκε λύσσα θυμόν) in der dra-
matischen Tradition so beliebte Wahnsinnsmotiv Pate gestanden, das bei Euripi-
des am Anfang zwar anklingt (265f.; 432), im weiteren Verlauf des Stückes aber
völlig zurücktritt. Andere legen dar, daß βούλευμα nicht auf den präzisen Sinn
„Plan“ festgelegt werden dürfe, sondern auch die Reflexion auf das eigene Tun
bedeuten könne (A. Lesky, Entr. Fond. Hardt 1960, 83; E. Schlesinger, Herrn. 94,
1966, 29; W. W. Fortenbaugh, Greek Rom. Byz. Stud. 11, 1970, 237, etwas ab-
weichend H. Strohm, Euripides, München 1957,103). Das mag für den allgemeinen
Wortgebrauch hin und wieder zutreffen, in der ‘Medea’ hingegen ist das Wort
eindeutig determiniert, wie oben dargelegt wurde. W. W. Forthenbaugh ist diesem
Gedanken am konsequentesten nachgegangen, weil er die ‘Medea’ für die Vorge-
schichte der aristotelischen Psychologie zu reklamieren sucht.
Zweifellos lassen sich auch bei Euripides Anhaltspunkte dafür finden, daß man
der Vernunft zwei jeweils auch unabhängig voneinander wahrgenommene Funk-
tionen zuschreibt, wie es eben Aristoteles tut: Die Planung des Handelns ist eine
gleichsam nur technisch, nach dem Grad der Wirksamkeit zu bewertende Vernunft-
leistung, während sich das moralische Urteil auf die Beherrschung und Steuerung
der Emotionen durch die Vernunft vor und bei dem Handeln richtet. Allerdings
läßt sich eben doch in der ‘Medea’ beides nicht so scharf voneinander sondern, wie
es Fortenbaugh vorschwebt. Medeas erste Rachepläne werden unmittelbar durch
Emotionen wie Eifersucht und Haß ausgelöst, und dabei ist von einer Kontrolle
der Emotionen durch die Vernunft nichts zu spüren. Am Übermaß der Emotionen