Euripides’ Medea · Anmerkungen
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nicht merkwürdig. Daß δράν, insbesondere mit einem Objekt im Neutrum Plu-
ralis, auf eine - möglicherweise ganz passive - Verhaltensweise und nicht auf eine
Tat verweist, begegnet bei Euripides oft. (H. Schreckenberg, Δράμα, Würzburg
1960, 53 ff. ist in diesem Punkt zu ergänzen.) So ermahnt der Paedagog seine Her-
rin, als Sterbliche Schicksalsschläge nicht zu schwer zu nehmen (1018f.). Δράσω
τάδε, antwortet Medea. In 926 beruhigt Jason Medea mit der Versicherung, er
werde sich dieser Angelegenheit annehmen (so daß sie nichts zu tun brauche).
Δράσω τάδε antwortet Medea. Auch das ratlose τί δράσω (1042) deutet nicht
auf eine bestimmte Tat, sondern kann mit „wie soll ich mich verhalten“ übersetzt
werden. Einen ähnlichen Gebrauch von δράν gibt es Heracld. 418ff.; 974; Or.
938; Tro. 701; Ale. 565. Und wenn ota δράν μέλλω κακά am Schluß des großen
Monologs (1078) sich wirklich auf den nunmehr endgültigen Entschluß beziehen
sollte, die Kinder zu töten, wie könnte Medea dann 1238, wenn sie sich gezwungen
sieht, zur Tat zu schreiten, ihr bisheriges Verhalten mit den Worten σχολήν
άγουσα kennzeichnen?
Wo vom Vollzug der Tat die Rede ist, steht in der 'Medea’ gern πράσσω,
so in 1064 πάντως πέπρακται ταΰτα und 1242f. τί μέλλομεν | τά δεινά τάναγκαΐα
μή πράσσειν κακά. Natürlich gibt es δράν auch vielfach im „aktiven“ Sinn,
z. B. Eur. Med. 813, wo der Chor auf die geplante Tat der Medea mit diesem Wort
verweist, oder Eur. Med. 289.
23 Als wichtig zum Verständnis der Trugszene erscheint mir, daß man den beinahe
aufdringlichen Gebrauch bestimmter Schlüsselworte in jeweils entgegengesetztem
Sinn registriert. Immer wieder taucht βουλεύματα, βουλεύω auf, und zwar in dem
Sinn, daß damit auf die weisen Ratschlüsse der Regierung des Landes und den ver-
ständigen Beschluß der Medea, sich diesen zu fügen, hingewiesen wird 874; 886;
893; vgl. auch άβουλία/βουλή (883/913). Medea paßt sich damit dem Sprachge-
brauch Jasons und des Chores an (270; 449), was man im Gegensatz zu der Fixie-
rung des Wortes βουλεύματα, jedenfalls in ihrem Munde, auf den 774ff. ausführlich
geschilderten Racheplan im übrigen Stück (769; 772; 1044; 1049; 1079) verstehen
muß. Umgekehrt erklärt Medea feierlich, von ihrem θυμός loskommen zu wollen
(879), der durch die Assoziation zu Wörtern wie όργή (870), δυσμεναίνω (874),
άβουλία (882), θυμούμαι (883), άφρων (885), κακώς φρονεΐν (892) eindeutig als
die aggressive, verständiger Überlegung und Versöhnung entgegenstrebende Kraft
ihrer Seele gekennzeichnet ist, die sie zu Haß und Rache treibt. Zwar gilt auch
außerhalb des Trugs der Gegensatz zwischen θυμός und βουλεύματα, hier aber
gerade in dem Sinn, daß Medeas Pläne auf Rache und Vernichtung gerichtet sind
und der θυμός sich dem widersetzt (865; 1056; 1079).
Der Konformismus, zu dem sich Medea bekehrt zu haben vorgibt, erstreckt
sich also nicht nur auf das von ihr erwartete Handeln, sondern umfaßt auch mo-
ralische Anschauungen und Ausdrucksweisen. Darum gelingt der Trug, mit dem
sich Medea das Ansehen einer γυνή σώφρων zulegt, die trotz der weiblichen Nei-
gung zu übermäßigen Emotionen sich zur Nachgiebigkeit gegenüber den Ent-
scheidungen der Männer bereitfindet (908-913) und auf ihre unweibliche αύθαδία
(1028), auf die Inanspruchnahme einer männlich-kriegerischen Moral (807-810),
verzichtet hat.
Daß die Schreckenstat letztlich nur aus den Emotionen Medeas zu erklären sei,
ist auch die Meinung des Chores in dem erregten Liede, das auf Medeas letzten
Entschluß antwortet (1265f.). In dieser äußersten Situation also versagt das Ver-
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nicht merkwürdig. Daß δράν, insbesondere mit einem Objekt im Neutrum Plu-
ralis, auf eine - möglicherweise ganz passive - Verhaltensweise und nicht auf eine
Tat verweist, begegnet bei Euripides oft. (H. Schreckenberg, Δράμα, Würzburg
1960, 53 ff. ist in diesem Punkt zu ergänzen.) So ermahnt der Paedagog seine Her-
rin, als Sterbliche Schicksalsschläge nicht zu schwer zu nehmen (1018f.). Δράσω
τάδε, antwortet Medea. In 926 beruhigt Jason Medea mit der Versicherung, er
werde sich dieser Angelegenheit annehmen (so daß sie nichts zu tun brauche).
Δράσω τάδε antwortet Medea. Auch das ratlose τί δράσω (1042) deutet nicht
auf eine bestimmte Tat, sondern kann mit „wie soll ich mich verhalten“ übersetzt
werden. Einen ähnlichen Gebrauch von δράν gibt es Heracld. 418ff.; 974; Or.
938; Tro. 701; Ale. 565. Und wenn ota δράν μέλλω κακά am Schluß des großen
Monologs (1078) sich wirklich auf den nunmehr endgültigen Entschluß beziehen
sollte, die Kinder zu töten, wie könnte Medea dann 1238, wenn sie sich gezwungen
sieht, zur Tat zu schreiten, ihr bisheriges Verhalten mit den Worten σχολήν
άγουσα kennzeichnen?
Wo vom Vollzug der Tat die Rede ist, steht in der 'Medea’ gern πράσσω,
so in 1064 πάντως πέπρακται ταΰτα und 1242f. τί μέλλομεν | τά δεινά τάναγκαΐα
μή πράσσειν κακά. Natürlich gibt es δράν auch vielfach im „aktiven“ Sinn,
z. B. Eur. Med. 813, wo der Chor auf die geplante Tat der Medea mit diesem Wort
verweist, oder Eur. Med. 289.
23 Als wichtig zum Verständnis der Trugszene erscheint mir, daß man den beinahe
aufdringlichen Gebrauch bestimmter Schlüsselworte in jeweils entgegengesetztem
Sinn registriert. Immer wieder taucht βουλεύματα, βουλεύω auf, und zwar in dem
Sinn, daß damit auf die weisen Ratschlüsse der Regierung des Landes und den ver-
ständigen Beschluß der Medea, sich diesen zu fügen, hingewiesen wird 874; 886;
893; vgl. auch άβουλία/βουλή (883/913). Medea paßt sich damit dem Sprachge-
brauch Jasons und des Chores an (270; 449), was man im Gegensatz zu der Fixie-
rung des Wortes βουλεύματα, jedenfalls in ihrem Munde, auf den 774ff. ausführlich
geschilderten Racheplan im übrigen Stück (769; 772; 1044; 1049; 1079) verstehen
muß. Umgekehrt erklärt Medea feierlich, von ihrem θυμός loskommen zu wollen
(879), der durch die Assoziation zu Wörtern wie όργή (870), δυσμεναίνω (874),
άβουλία (882), θυμούμαι (883), άφρων (885), κακώς φρονεΐν (892) eindeutig als
die aggressive, verständiger Überlegung und Versöhnung entgegenstrebende Kraft
ihrer Seele gekennzeichnet ist, die sie zu Haß und Rache treibt. Zwar gilt auch
außerhalb des Trugs der Gegensatz zwischen θυμός und βουλεύματα, hier aber
gerade in dem Sinn, daß Medeas Pläne auf Rache und Vernichtung gerichtet sind
und der θυμός sich dem widersetzt (865; 1056; 1079).
Der Konformismus, zu dem sich Medea bekehrt zu haben vorgibt, erstreckt
sich also nicht nur auf das von ihr erwartete Handeln, sondern umfaßt auch mo-
ralische Anschauungen und Ausdrucksweisen. Darum gelingt der Trug, mit dem
sich Medea das Ansehen einer γυνή σώφρων zulegt, die trotz der weiblichen Nei-
gung zu übermäßigen Emotionen sich zur Nachgiebigkeit gegenüber den Ent-
scheidungen der Männer bereitfindet (908-913) und auf ihre unweibliche αύθαδία
(1028), auf die Inanspruchnahme einer männlich-kriegerischen Moral (807-810),
verzichtet hat.
Daß die Schreckenstat letztlich nur aus den Emotionen Medeas zu erklären sei,
ist auch die Meinung des Chores in dem erregten Liede, das auf Medeas letzten
Entschluß antwortet (1265f.). In dieser äußersten Situation also versagt das Ver-