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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 11. Abhandlung): Marsilio Ficinos Theorie des Schoenen im Kontext des Platonismus: vorgetragen am 28. Juni 1980 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45488#0014
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Werner Beierwaltes

Kritik an der bisherigen Situation zugleich die Frage nach dem, was
diese Situation von Grund auf verändern könnte: die Bewegung des
Denkens also aus sich selbst heraus auf ein erreichbares, wenn auch
nicht gänzlich „einholbares“ Ziel hin. Dies versteht Platon unter
„Philosophieren“.
Eros indiziert also durch die Bewegung, die über sich hinausgeht,
sich jedoch nie mit ihrem Ziel identisch setzt, die typisch mensch-
liche Situation: die Herausforderung zum Philosophieren ist gerade
dieses bewußte Sein „zwischen“ Nicht-Wissen und Wissen; ihr be-
wegendes, zum Selbstüberstieg hinfLihrendes Element aber ist der
göttliche Selbstbesitz des Wissens: „Keiner der Götter philosophiert,
noch will er weise werden - er ist es nämlich“9. Das Bewußtsein
der Defizienz menschlichen Wissens gegenüber dem göttlichen (abso-
luten) Wissen ist für das Philosophieren bestimmend und stimulierend
für den Lebensvollzug: „Eros philosophiert sein ganzes Leben lang“10.
Platon versteht Eros weiter als das - vielleicht utopische - Streben
nach dem immerwährenden Besitz des Guten; auch dieses kommt in
seiner höchsten Form wesentlich dem Bereich des Göttlichen zu. Die
Frage, wie dieses Streben sich zumindest approximativ auf sein Ziel
hin realisiert, führt in die anfängliche Thematik, die Frage nach dem
Schönen zurück. Die Weise seiner Verwirklichung begreift Platon
metaphorisch als „Zeugen im Schönen“11 - körperlich und geistig.
Beim geistigen Zeugen (xara vijv x|n)%f|v) ist die Verbindung zum
Guten hin offensichtig: gezeugt oder erzeugt werden soll im Anderen
durch den Logos Besonnenheit und Gerechtigkeit - wesentliche For-
men der ethischen Grundhaltung also, der 'arete’.
Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Körperlichem und
Geistigem zeigt die Richtung des fragenden Über- oder Aufstiegs des
Denkens an: auf das reine, intelligible, wahrhafte Sein der Idee hin.
Der Grundaspekt, unter dem dieser transzendierende Aufstieg zu
sehen ist, sind die in sich gestuften Erscheinungsformen oder die
verschiedenen Intensitätsgrade des einen Schönen selbst im vielen
Schönen: die Erscheinungsformen des Schönen sind durch die Idee
miteinander „verschwistert“12, d.h. es liegt dem vielheitlich Erschei-
nenden ein gemeinsames oder allgemeines Eidos zugrunde, das im
9 204 a 1.
10 203 d 7.
11 206 b 7 f.
12 210 b If. c5.
 
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