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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0043
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Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts

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Die gegenüber der herkömmlichen Lehre seit Luther und Calvin,
aber auch gegenüber Hotman vorgenommene Ausdehnung des Kreises
der zu Widerstand Berechtigten verband Beza mit dem Postulat, daß
nicht Einstimmigkeit oder Mehrheitsentscheidung der Amtsträger not-
wendig sei, um das Recht zum Widerstand wahrzunehmen. Auch die
besser unterrichtete und gerecht handelnde Minderheit der magistratus
inferiores — in mittelalterlicher Rechtstradition als „sanior pars“ be-
zeichnet87 -wurde zur Ausübung des Widerstandsrechts legitimiert. In
bedrängter Situation durfte sie sogar im Ausland Hilfe suchen88. Die
Problematik dieser Konzession ist Beza offenbar bewußt gewesen; er
hat sie deshalb mit Beispielen aus dem Alten Testament und der Ge-
schichte belegt und ihren Ausnahmecharakter eingeschärft: Ein Wider-
standsrecht der niederen Obrigkeit - notfalls mit Hilfe des Auslands -
tritt erst dann in Kraft, wenn die Tyrannis offenkundig ist („manifesta
notaque“), alle friedlichen Mittel wirkungslos bleiben und die Relation
von Zweck und Mittel den letzten Einsatz rechtfertigt. Mit diesen Be-
dingungen fiel allerdings das Widerstandsrecht auch bei Beza aus der
Rechtssphäre heraus und wurde der subjektiven Lagebeurteilung durch
eine Minorität überlassen, die nach eigenem Maßstab Rechtskriterien
aufstellte.
Anders als Hotman erörterte Beza das Verhalten im Fall der Reli-
gionsverfolgung gesondert und traf auch hier Entscheidungen, die für
die weitere Diskussion des Widerstandsrechts wichtig geworden sind89.
Das Dilemma zwischen biblischem Leidenspostulat und Rechtsanspruch
auf Abwehr von Tyrannis wird dadurch gelöst, daß zwar prinzipiell Ver-
folgung um des Glaubens willen hinzunehmen ist, die Situation sich
aber ändert, wenn zuvor ein Toleranzedikt erlassen worden ist - wie in
Frankreich mehrfach seit 1560, zuletzt 1570. Damit ließ sich das Pro-
blem des sachgemäßen Verhaltens auf den Boden des positiven Rechtes
zurückführen, da der Fürst bei Bruch oder einseitiger Aufhebung des
von ihm erlassenen Gesetzes tyrannisch verfuhr und dementsprechend
87 VgL qu. VII (Sturm, 76): „Singulis quoque ordinibus hoc officii incumbit, vel legiti-
mum ac generalem omnium ordinum conventum serio procurent, ne improbi bonos,
tardi diligentes, multitudo potiorem sanioremque partem aut impediant aut remoren-
tur“.
88 Ebd.: „Licebit etiam saniori parti oppressae auxilia aliunde conquirere, praesertim
apud regni confoederatos et amicos“; unterstützt durch vier Beispiele und Widerle-
gung von neun Einwänden; ebd. 76ff.
89 Vgl. qu. X: „An qui propter religionem persecutionem patiuntur adversus tyrannos
sese tueri salva conscientia possint“ (Sturm, 85ff.).
 
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