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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0050
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Eike Wolgast

Der geistige Anführer der Pariser Liga Jean Boucher hat die Debatte
des 16. Jahrhunderts über Gehorsam und Widerstand durch die Einfüh-
rung neuer Argumente entscheidend zugespitzt:
das Ketzerkriterium als den wichtigsten Grund zur Disqualifizierung
des Fürsten;
die Kirche als Urteilsinstanz über die Tyrannis des Herrschers;
das Volksurteil über den Tyrannen;
die Berechtigung zur Tyrannentötung.
Bouchers 1589 erschienene „De iusta Henrici Tertii abdicatione e
Francorum Regno libri IV“, das Handbuch für die ligistische Politik109,
übernehmen das Grundkonzept der hugenottischen Monarchomachen-
literatur, weiten es aber an wichtigen Stellen aus. Vor allem wird der re-
ligiöse Bundesgedanke der „Vindiciae“ abgewandelt, so daß das pactum
religionis nicht mehr ein Vertrag von König und Volk mit Gott ist, son-
dern ein Vertrag zwischen Gott und Volk; der Fürst erscheint lediglich
als Glied des Volkes. Daraus gewinnt Boucher eine neue Grundlage für
das Widerstandsrecht: Das Volk kann den König zwingen, den Vertrag
mit Gott einzuhalten. In der Konkretion des politischen Alltags bleibt
allerdings auch für Boucher das Ständeprinzip maßgebend: „Intelli-
gendum populi nomine . . . non inconditam et confusam turbam, quae
belua multorum capitum est,. . . sed Procerum, Senatorum acpraecipua
virtutis, probitatis iudiciique ac dignitatis auctoritate hominum pruden-
tem ac iure coactam multitudinem sumi“110. Stände, Parlament oder
magistratus inferiores in der von Beza und „Brutus“ übernommenen
Unterscheidung besitzen die Kompetenz, über Wahl und Absetzung des
Königs zu entscheiden, wobei für die Dignität des Herrschers das reli-
giöse Kriterium ausschlaggebend ist. Der nichtkatholische Herrscher ist
von vornherein Ketzer und Kirchenverfolger, übt also tyrannische
Herrschaft aus und entsetzt sich damit selbst seines Amtes: „Princeps
sich in ihm als intriganter und eigensüchtiger Opportunist bloßgestellt, so daß er die
Auflage unterdrücken und die Drucker verhaften ließ; außerdem sorgte er für eine
Gegenschrift. Um die Gegensätze im Lager der Liga bekanntzumachen und Mayenne
zu schaden, wurde von royalistischer Seite 1594 eine bearbeitete Version des „Dialo-
gue“ herausgegeben, die vermutlich von Pierre Pithou, einem der Mitverfasser der
„Satyre Menippee“, stammt. Zur Verfasserschaft des „Dialogue“ vgl. Ascoli, 23ff.,
zur Reaktion Mayennes und zur Überarbeitung ebd., 27ff.
109 Paris 1589; Lyon 1591 (danach benutzt). Zu Boucher vgl. Stricker (s. Anm.45),
243ff.; Baumgartner (s.Anm.105), 123ff.; Vahle (s. Anm. 105), 321ff.; Mousnier (s.
Anm. 105), 82ff. Zur Vertragslehre der katholischen Monarchomachen vgl. Gough (s.
Anm. 45), 59ff.
110 De iusta abdicatione, 19 (I cap. 9).
 
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