Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts
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dagegen zeichnete sie sich durch größere Radikalität der Formulierun-
gen aus, indem sie vor allem Heinrich III. mit den schärfsten Verdikten
belegte.
Rossaeus’ Lehre vom Herrschaftsvertrag und Widerstandsrecht ent-
hält keine wesentlich neuen Elemente; ein Bezug auf die gegenwärtige
Situation Frankreichs wird vielleicht in der Behauptung erkennbar, daß
zwar Herrschaft als solche auf dem Naturrecht beruhe, die Regierungs-
form aber durch veränderbares ius humanum festgelegt sei und daher
vom Volk auch geändert werden könne - allerdings erklärt Rossaeus
das Königtum für die natürlichste und vernünftigste Form. Neben Bruch
der obligatio mutua und Verletzung der Gesetze des Staates ist Ketzerei
das wichtigste Kennzeichen von Tyrannis. Häresie macht aus dem Kö-
nig einen Privatmann116: „Omnis rex haereticus est simul tyrannus, . . .
quod est perspicue verum,. . . vix aut potius numquam fieri posse, ut rex
aliquis catholice Christianus e Christiano tali evadat haereticus, quin eo
ipso momento eademque opera e rege evadat tyrannus“117. Urteilsin-
stanz über den Tyrannen ist das Volk; anders als in der bisherigen mon-
archomachischen Literatur fehlt bei Rossaeus aber die ausdrückliche
Übertragung dieser Kompetenz auf die konstitutionellen Institutionen.
Volk sind für ihn „omnes eius regni incolae“ - außer den Hugenotten,
die als Ketzer kein Bürgerrecht besitzen. Noch entschiedener als Bou-
cher vertritt er die Lehre von der Überordnung der Kirche auch in welt-
lichen Fragen und erkennt ihr dementsprechend gleichfalls ein Richter-
amt zu, das von der Nationalsynode oder vom Papst wahrgenommen
werden könne. Zur Tyrannentötung ist, wie Rossaeus unter Berufung
auf Buchanan feststellt, jeder Einzelne berechtigt, wenn auch erst nach
vorausgegangenem Urteilsspruch des Volkes.
Seit 1589 sind die radikalen monarchomachischen Theorien über das
Recht zum Widerstand gegen den Vertragsbrüchigen und glaubensver-
folgenden Herrscher von der Liga unmittelbar in der politischen Praxis
angewendet worden: Heinrich III. wurde ermordet, Heinrich von Na-
varra nicht als sein Nachfolger anerkannt. In dieser Situation mußte die
causa religionis ihre Tragfähigkeit für die notwendigen politischen Ent-
scheidungen erweisen, das Widerstandsrecht war durch das Wahlrecht
positiv weiterzuführen. Zunächst sorgte der Kardinal von Bourbon als
ligistischer König „Karl X.“ für einen Aufschub, aber nach dessen Tod
im Mai 1590 in der Gefangenschaft seines Neffen Heinrich von Navarra
116 Vgl. De iusta Reipublicae, 612.
117 Ebd., 156; zur Tyrannenlehre Rossaeus’ vgl. ebd., cap. 3 (105ff.): „Quis sit tyrannus“.
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dagegen zeichnete sie sich durch größere Radikalität der Formulierun-
gen aus, indem sie vor allem Heinrich III. mit den schärfsten Verdikten
belegte.
Rossaeus’ Lehre vom Herrschaftsvertrag und Widerstandsrecht ent-
hält keine wesentlich neuen Elemente; ein Bezug auf die gegenwärtige
Situation Frankreichs wird vielleicht in der Behauptung erkennbar, daß
zwar Herrschaft als solche auf dem Naturrecht beruhe, die Regierungs-
form aber durch veränderbares ius humanum festgelegt sei und daher
vom Volk auch geändert werden könne - allerdings erklärt Rossaeus
das Königtum für die natürlichste und vernünftigste Form. Neben Bruch
der obligatio mutua und Verletzung der Gesetze des Staates ist Ketzerei
das wichtigste Kennzeichen von Tyrannis. Häresie macht aus dem Kö-
nig einen Privatmann116: „Omnis rex haereticus est simul tyrannus, . . .
quod est perspicue verum,. . . vix aut potius numquam fieri posse, ut rex
aliquis catholice Christianus e Christiano tali evadat haereticus, quin eo
ipso momento eademque opera e rege evadat tyrannus“117. Urteilsin-
stanz über den Tyrannen ist das Volk; anders als in der bisherigen mon-
archomachischen Literatur fehlt bei Rossaeus aber die ausdrückliche
Übertragung dieser Kompetenz auf die konstitutionellen Institutionen.
Volk sind für ihn „omnes eius regni incolae“ - außer den Hugenotten,
die als Ketzer kein Bürgerrecht besitzen. Noch entschiedener als Bou-
cher vertritt er die Lehre von der Überordnung der Kirche auch in welt-
lichen Fragen und erkennt ihr dementsprechend gleichfalls ein Richter-
amt zu, das von der Nationalsynode oder vom Papst wahrgenommen
werden könne. Zur Tyrannentötung ist, wie Rossaeus unter Berufung
auf Buchanan feststellt, jeder Einzelne berechtigt, wenn auch erst nach
vorausgegangenem Urteilsspruch des Volkes.
Seit 1589 sind die radikalen monarchomachischen Theorien über das
Recht zum Widerstand gegen den Vertragsbrüchigen und glaubensver-
folgenden Herrscher von der Liga unmittelbar in der politischen Praxis
angewendet worden: Heinrich III. wurde ermordet, Heinrich von Na-
varra nicht als sein Nachfolger anerkannt. In dieser Situation mußte die
causa religionis ihre Tragfähigkeit für die notwendigen politischen Ent-
scheidungen erweisen, das Widerstandsrecht war durch das Wahlrecht
positiv weiterzuführen. Zunächst sorgte der Kardinal von Bourbon als
ligistischer König „Karl X.“ für einen Aufschub, aber nach dessen Tod
im Mai 1590 in der Gefangenschaft seines Neffen Heinrich von Navarra
116 Vgl. De iusta Reipublicae, 612.
117 Ebd., 156; zur Tyrannenlehre Rossaeus’ vgl. ebd., cap. 3 (105ff.): „Quis sit tyrannus“.