Metadaten

Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0055
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Reiigionsfrage als Problem des Widerstandsrechts

53

nigswahl berufenen Generalstände versagt. Obwohl die anwesenden
Mitglieder alle der Liga zuzurechnen waren, erreichten sie keine Über-
einstimmung über die Person des neuen Königs. Die spanische Kandi-
datur, die am geeignetsten gewesen wäre, den katholischen Glauben in
Frankreich zu retten, scheiterte einmal an der Xenophobie und dem
Nationalbewußtsein der Mehrheit, zum anderen an der Warnung des
Pariser Parlaments, durch Verletzung der lex Salica gegen die lois fon-
damentaux zu verstoßen; allerdings beharrte dieses Parlamentsvotum
durchaus auf der Wahl eines katholischen Königs.
In der Uneinigkeit der Generalstände erwies sich, daß die causa reli-
gionis sehr wohl eine taugliche Grundlage für das Widerstandsrecht ge-
gen eine unerwünschte Herrschaft sein konnte, aber nur sehr bedingt
brauchbar war als Voraussetzung einer politischen Neuordnung. Politik
und Glaubensfrage, die bisher durch die causa religionis zusammenge-
halten worden waren, begannen auseinanderzutreten, als unausweich-
lich Prioritäten gesetzt werden mußten. Die lex Salica zeigte sich als
stärker als die causa religionis. Heinrich IV. ersparte den Generalstän-
den den Optionszwang zwischen causa religionis, eigenem ständischem
Interesse und politischer Einsicht, indem er im Mai 1593 seine Konver-
sion ankündigte. Der Glaubenswechsel war nach außen hin noch einmal
ein Sieg der causa religionis, wurde aber - wie den meisten Zeitgenos-
sen wohl bewußt war - in Wahrheit aus politischen Gründen vollzogen.
Die Konversion war die Antwort auf die Herausforderung des Staates
durch das Widerstandsrecht, wie es zuletzt von Boucher, Rossaeus und
anderen ligistischen Traktaten zugespitzt worden war. Mit dem Ent-
schluß Heinrichs IV. wurde in Frankreich der religiöse Faktor aus dem
Bereich des Politischen verdrängt und die Macht säkularisiert. Indem er
das Postulat des katholischen Königs erfüllte, enthob er die General-
stände der Notwendigkeit, das ihnen in der Theorie von allen Seiten zu-
gesicherte, aber in der Praxis erstmals jetzt auszuübende Wahlrecht
wirklich wahrnehmen zu müssen - sie gingen im August 1593 ohne Er-
gebnis auseinander. Zugleich entzog er der Liga die Voraussetzung ih-
res politischen Handelns, indem sich die causa religionis durch die Kon-
version und ihre Folgen erledigte. Die Liga zerfiel rasch, auch wenn die
entschiedenen Ligisten um Boucher die Echtheit der katholischen
Überzeugung des Königs und damit seine Herrschaftslegitimation be-
stritten, um am monarchomachischen Konzept von Widerstand und
Wahl eines rechtgläubigen Fürsten festhalten zu können.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften