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Albrecht Dihle
in diesen Zusammenhang. Die politische Unabhängigkeit jeder einzel-
nen Polis paßte zum festen Bild, das sich jeder Gebildete von der gro-
ßen Vergangenheit des 6. bis 4. Jh. v. C. machte und das ganz und gar
durch die Pflege der literarischen Überlieferung geformt wurde. Auch
bei der Entstehung der Provinz Asia aus der attalidischen Erbschaft und
den Wirren des Aristonikos-Aufstandes spielte die proklamierte Frei-
heit der griechischen Städte eine entscheidende Rolle, und es ist anzu-
nehmen, daß jeder Angehörige der gebildeten bürgerlichen Ober-
schicht in diesen Städten ein solches Schlagwort mit der Freiheit der
griechischen Städte Asiens assoziieren konnte, über die er im Schulun-
terricht beim Studium der Werke Xenophons oder Isokrates’ gelesen
hatte.
Es ist also denkbar, daß die Römer solche Zusammenhänge und Vor-
stellungen bei der Benennung ihrer neuen Provinz im Auge hatten, und
daß das damals neue Bildungswissen, demzufolge das homerische
„Asien“ nur Kleinasien gewesen sei, diese Tendenz verstärkte, denn al-
le griechische Bildung konzentrierte sich eben um Homer, den man als
Lehrmeister in allen Wissenschaften betrachtete (Strab. 1,2 pass.).
Es besteht freilich auch die Möglichkeit, daß die Römer ihre neue
Provinz nur deshalb Asia nannten, weil sie eben die erste Provinz auf
asiatischem Boden war (vgl. Strab. 13,4,2). Eine gewisse Analogie dazu
liefert die Einrichtung und Benennung der Provinz Gallia zwischen 125
und 118 v. C.19. Diese hieß anfangs sicherlich nur Gallia (so noch Cic.
Brut. 318), und der Zusatz Narbonensis wurde erst nötig, als zu Sullas
Zeit in Oberitalien eine bis 41 v. C. bestehende Provinzialverwaltung
eingeführt wurde, es also verschiedene Provinzen mit dem Namen Gal-
lien gab. Denn daß die geographische und allgemeine Bezeichnung des
gesamten, vorwiegend von Galliern bewohnten Po-Landes Gallien lau-
tete, entsprach einem seit dem 4. oder 3. Jh. v. C. ganz festen, reichlich
dokumentierten Sprachgebrauch auf römischer und griechischer Seite.
Die seit dem Ende des 2. Jh. v. C. bestehende Provinz Gallien unter-
schied sich also als Provinz dieses Namens sowohl vom freien Gallien
wie vom römischen, wenn auch nicht als Provinz organisierten oberitali-
schen oder cisalpinen Gallien. Ein Anspruch auf die Eroberung des
ganzen freien Gallien, wie sie später Caesar gelang, war mit der Benen-
nung gewiß nicht angemeldet.
19 Stellen zur Benennung der verschiedenen Teile des gallischen Siedlungsgebietes seit
dem 4. oder 3. Jh. v. C. wie ager Gallicus, TraXia TctkariKfi, Gallia et Ligures, f] evrög
’AVtewv KL/.riK'q usf. in den einschlägigen Artikeln des Kl. Pauly (2,679—83). Dort
weitere Literatur.
Albrecht Dihle
in diesen Zusammenhang. Die politische Unabhängigkeit jeder einzel-
nen Polis paßte zum festen Bild, das sich jeder Gebildete von der gro-
ßen Vergangenheit des 6. bis 4. Jh. v. C. machte und das ganz und gar
durch die Pflege der literarischen Überlieferung geformt wurde. Auch
bei der Entstehung der Provinz Asia aus der attalidischen Erbschaft und
den Wirren des Aristonikos-Aufstandes spielte die proklamierte Frei-
heit der griechischen Städte eine entscheidende Rolle, und es ist anzu-
nehmen, daß jeder Angehörige der gebildeten bürgerlichen Ober-
schicht in diesen Städten ein solches Schlagwort mit der Freiheit der
griechischen Städte Asiens assoziieren konnte, über die er im Schulun-
terricht beim Studium der Werke Xenophons oder Isokrates’ gelesen
hatte.
Es ist also denkbar, daß die Römer solche Zusammenhänge und Vor-
stellungen bei der Benennung ihrer neuen Provinz im Auge hatten, und
daß das damals neue Bildungswissen, demzufolge das homerische
„Asien“ nur Kleinasien gewesen sei, diese Tendenz verstärkte, denn al-
le griechische Bildung konzentrierte sich eben um Homer, den man als
Lehrmeister in allen Wissenschaften betrachtete (Strab. 1,2 pass.).
Es besteht freilich auch die Möglichkeit, daß die Römer ihre neue
Provinz nur deshalb Asia nannten, weil sie eben die erste Provinz auf
asiatischem Boden war (vgl. Strab. 13,4,2). Eine gewisse Analogie dazu
liefert die Einrichtung und Benennung der Provinz Gallia zwischen 125
und 118 v. C.19. Diese hieß anfangs sicherlich nur Gallia (so noch Cic.
Brut. 318), und der Zusatz Narbonensis wurde erst nötig, als zu Sullas
Zeit in Oberitalien eine bis 41 v. C. bestehende Provinzialverwaltung
eingeführt wurde, es also verschiedene Provinzen mit dem Namen Gal-
lien gab. Denn daß die geographische und allgemeine Bezeichnung des
gesamten, vorwiegend von Galliern bewohnten Po-Landes Gallien lau-
tete, entsprach einem seit dem 4. oder 3. Jh. v. C. ganz festen, reichlich
dokumentierten Sprachgebrauch auf römischer und griechischer Seite.
Die seit dem Ende des 2. Jh. v. C. bestehende Provinz Gallien unter-
schied sich also als Provinz dieses Namens sowohl vom freien Gallien
wie vom römischen, wenn auch nicht als Provinz organisierten oberitali-
schen oder cisalpinen Gallien. Ein Anspruch auf die Eroberung des
ganzen freien Gallien, wie sie später Caesar gelang, war mit der Benen-
nung gewiß nicht angemeldet.
19 Stellen zur Benennung der verschiedenen Teile des gallischen Siedlungsgebietes seit
dem 4. oder 3. Jh. v. C. wie ager Gallicus, TraXia TctkariKfi, Gallia et Ligures, f] evrög
’AVtewv KL/.riK'q usf. in den einschlägigen Artikeln des Kl. Pauly (2,679—83). Dort
weitere Literatur.