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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0024
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Albrecht Dihle

nung gründlich durcheinanderbringt und auf diese Weise seine göttliche
Macht offenbart. Dieses Motiv ist während der ganzen klassischen Zeit
in allen Mythen und Kulten der Dionysos-Religion lebendig geblieben.
Freilich assoziiert sich der befremdende und unheimliche Charakter des
Gottes nicht mit einer vagen Vorstellung von seiner schlechthin exoti-
schen Herkunft. Vielmehr kommt Dionysos nach dem Glauben klassi-
scher Zeit aus einem genau definierten Gebiet, nämlich aus Lydien,
Phrygien und Thrakien, aus einer Gegend also, in der orgiastische Kulte
jahrhundertelang endemisch waren (vgl. etwa Eur. Hec. 1267). Wir
brauchen hier auf das Alter des griechischen Dionysos-Kultes und seine
Metamorphosen in der Polis-Religion der archaisch-klassischen Epoche
nicht einzugehen. Aber eines muß man in unserem Zusammenhang
festhalten: Es gibt kein einziges Zeugnis dafür22, daß man bis zum 4. Jh.
v. C. eine Überlieferung kannte, nach der des Dionysos Einzug in Hel-
las in den Zusammenhang eines Eroberungszuges gehört, der ihn durch
alle Länder der Erde führt und überall seine Macht zeigen läßt. Zwar
haben die Griechen in fremden Ländern überall ihre Götter wiederge-
funden. Herodot23 und seine Vorgänger sahen in nahezu jeder exoti-
schen, insbesondere ägyptischen Göttergestalt eine ihrer griechischen
Gottheiten, darunter auch den Dionysos (2,29,7; 2,42,2; 3,8,3). Aber
daß einem einzelnen Gott zugeschrieben wird, er sei als Eroberer durch
die ganze Welt gezogen und habe allenthalben die Spuren seines Wir-
kens hinterlassen, diese Vorstellung verbindet sich in der Zeit vor Alex-
ander ausschließlich mit der Gestalt des Herakles (vgl. etwa Isocr. Phil.
109ff. und Herodoros F. gr. Hist. 33). Der aber ist als Kulturbringer, als
Zähmer der ungebändigten Natur das genaue Kontrastbild des Diony-
sos. Erst seit hellenistischer Zeit mußte sich Herakles mit Dionysos in
die Rolle des Welteroberers teilen, wie das etwa im 2. und 3. Buch Dio-
dors zu sehen ist (vgl. auch Strab. 15,1,2).
In der nachklassischen Zeit gehört das Bild vom Welteroberer Dio-
nysos zum festen Bestandteil der Dionysos-Religion. Diese war damals
vor allem in Mysterien-Kulten lebendig, also außerhalb der offiziellen
Kulte der politischen Gemeinwesen. In dieser, wie man sagen darf, pri-
vaten Religiosität kleiner, über die ganze hellenistische Welt verstreuter
Gruppen und auch in der reichen mythologisch-theologischen Spekula-
22 Die Deutung des Kamelreiters auf einem attischen Aryballos als Dionysos wurde
nach Furtwängler von L. Curtius (A. J. 43, 1928, 285) abgelehnt (vgl. M. P. Nilsson,
Geschichte der griechischen Religion I2, München 1955, 564f.).
23 Ares, Demeter, Athena u. a.; 2,83 Leto, Apollon, Athena u. a.; 2,113 Herakles;
2,145 Pan.
 
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