Metadaten

Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0029
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Der Prolog der ‘Bacchen’

27

Der Prolog würde nach dieser Emendation aus den Versen 1-13, 20,
26—52ff. bestehen. Viel spricht nach dem Gesagten auch dafür, die auf
eine Anregung Gottfried Hermanns von Bernhardy athetierten Verse
53f. wegzulassen. Sie wiederholen lediglich, was der Gott schon in Vers
4 gesagt hat, nämlich daß er in Menschengestalt auftrete. Doch könnte
es sich, wie E. R. Dodds gezeigt hat, um eine überdeutlich gegebene In-
formation für die Zuschauer handeln, im lydischen Fremdling der fol-
genden Handlung auch wirklich den Gott Dionysos zu erkennen.
Rechnet man ernstlich mit der Möglichkeit, es handele sich bei den
Versen 14—19 und 21-25 des Bacchen-Prologes um eine Interpolation,
ergeben sich Konsequenzen für das allgemeine Bild, das man von der
Überlieferung des Tragiker-Textes hat. Nach dem Zeugnis Strabons
und des o. g. Berliner Papyrus gehörten diese Verse in der Zeit um
Christi Geburt in den Lesetext des Euripides. Da sie aber vor dem 2. Jh.
v. C. kaum formuliert sein können, müßten sie irgendwann nach der
wissenschaftlich-philologischen Bearbeitung des Euripides-Textes
durch Aristophanes von Byzanz in die Überlieferung eingedrungen
sein. Dabei ergibt sich das Problem, ob ein solcher Zusatz eher aus dem
literarischen Leben oder aus dem Bühnenbetrieb des Hellenismus zu
erklären ist.
Die interpolierten Verse des Bacchen-Prologes statten das Bild des
Dionysos mit einem Detail aus, das für ein hellenistisches Publikum in-
tegrierender Bestandteil seiner Vorstellung vom Wesen dieses Gottes
gewesen sein mußte. Sie tragen zudem Elemente in den Text, die der
generellen Vorliebe jenes Zeitalters für das Exotische entgegenkam.
Daß ein solcher Zusatz eher bestimmt war, einem Bühnenauftritt grö-
ßere Wirksamkeit zu geben, als daß der Text des Klassikers für ein Le-
sepublikum attraktiver gemacht werden sollte, ist wohl eine plausible
Vermutung. Wie sollte man sich wohl den Philologen, Editor, Abschrei-
ber, Schulmeister oder Leser vorstellen, der den Bacchen-Prolog mit ei-
nem derart substantiellen Zusatz eigener Erfindung versah? Sofern wir
es aber hier mit einer aus dem Theaterbetrieb stammenden Interpola-
tion hellenistischer Zeit zu tun haben, ergibt sich zunächst die Frage,
wie man sich die Eigentümlichkeiten dieser Theaterpraxis vorzustellen
habe, für die eine berühmte Prolog-Rede des Euripides in der ermittel-
ten Weise verändert werden konnte.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften