Der Prolog der ‘Bacchen’
39
III
Daß der Text der drei großen Tragiker im Gefolge der Wiederauffüh-
rung ihrer Dramen mancherlei Veränderungen erlitten habe, darin sind
sich antike und moderne Philologen einig. Die Scholien vermerken im-
mer wieder, daß hier oder dort eine Schauspielerinterpolation, ein aus
der Bühnenpraxis stammender Zusatz zum echten Text des Dichters,
überliefert worden sei, und dasselbe Problem hat in der neueren For-
schung wiederholt eine ausführliche Behandlung erfahren1. Wie heute,
so hat man auch in der Antike ein zur Wiederaufführung vorgesehenes
Stück durchgesehen und mit Streichungen, Zusätzen oder anderen Ver-
änderungen den Bedürfnissen der bevorstehenden Aufführung ange-
paßt. Es ist aber nur wahrscheinlich, daß derartig überarbeitete Exem-
plare gerade in der Frühzeit des Buchwesens auch für Lesezwecke ab-
geschrieben wurden und so auf die weitere Geschichte des Textes ein-
wirkten.
Zwar besteht heute keineswegs Einigkeit über das Ausmaß, in dem
solche „Schauspielerinterpolationen“ unseren, im wesentlichen durch
mittelalterliche Handschriften überlieferten Text entstellen. Einig aber
ist man sich darin, daß Schauspielerinterpolationen vor allem - wenn
nicht gar ausschließlich - während der ersten, voralexandrinischen Pha-
se der Überlieferung in den Tragikertext eindringen konnten bzw. ein-
gedrungen sind. Für diese weithin geteilte Grundannahme gibt es gute
Gründe.
Zunächst ist für das ganze 4. Jh. v. C. der Fortgang des Athener
Theaterbetriebes im Rahmen des dionysischen Festkalenders wohlbe-
zeugt, freilich mit einer wichtigen, seit 386 gesetzlich geregelten Neue-
rung: Neben den Wettbewerb neuer Stücke tritt die Reprise alter Dra-
men außerhalb der Konkurrenz2. Dabei erfreuen sich die euripidei-
schen Tragödien steigender Beliebtheit, und für sie sind nicht wenige
1 Grundlegend D. L. Page, Actors’ Interpolations in Greek Tragedies, Oxford 1934.
Aus neuerer Zeit z. B. W. S. Barrett (ed.) Euripides, Hippolytos, Oxford 1964, p. 46
u. ö. sowie R. Kannicht (ed.), Euripides’ Helena, Heidelberg 1969, II 16f.
2 Tr. G. F. I p. 11 (s. o. S. 29) und A. Pickard — Cambridge, The Dramatic Festivals of
Athens, Oxford 21968, 82f.; 99f.
39
III
Daß der Text der drei großen Tragiker im Gefolge der Wiederauffüh-
rung ihrer Dramen mancherlei Veränderungen erlitten habe, darin sind
sich antike und moderne Philologen einig. Die Scholien vermerken im-
mer wieder, daß hier oder dort eine Schauspielerinterpolation, ein aus
der Bühnenpraxis stammender Zusatz zum echten Text des Dichters,
überliefert worden sei, und dasselbe Problem hat in der neueren For-
schung wiederholt eine ausführliche Behandlung erfahren1. Wie heute,
so hat man auch in der Antike ein zur Wiederaufführung vorgesehenes
Stück durchgesehen und mit Streichungen, Zusätzen oder anderen Ver-
änderungen den Bedürfnissen der bevorstehenden Aufführung ange-
paßt. Es ist aber nur wahrscheinlich, daß derartig überarbeitete Exem-
plare gerade in der Frühzeit des Buchwesens auch für Lesezwecke ab-
geschrieben wurden und so auf die weitere Geschichte des Textes ein-
wirkten.
Zwar besteht heute keineswegs Einigkeit über das Ausmaß, in dem
solche „Schauspielerinterpolationen“ unseren, im wesentlichen durch
mittelalterliche Handschriften überlieferten Text entstellen. Einig aber
ist man sich darin, daß Schauspielerinterpolationen vor allem - wenn
nicht gar ausschließlich - während der ersten, voralexandrinischen Pha-
se der Überlieferung in den Tragikertext eindringen konnten bzw. ein-
gedrungen sind. Für diese weithin geteilte Grundannahme gibt es gute
Gründe.
Zunächst ist für das ganze 4. Jh. v. C. der Fortgang des Athener
Theaterbetriebes im Rahmen des dionysischen Festkalenders wohlbe-
zeugt, freilich mit einer wichtigen, seit 386 gesetzlich geregelten Neue-
rung: Neben den Wettbewerb neuer Stücke tritt die Reprise alter Dra-
men außerhalb der Konkurrenz2. Dabei erfreuen sich die euripidei-
schen Tragödien steigender Beliebtheit, und für sie sind nicht wenige
1 Grundlegend D. L. Page, Actors’ Interpolations in Greek Tragedies, Oxford 1934.
Aus neuerer Zeit z. B. W. S. Barrett (ed.) Euripides, Hippolytos, Oxford 1964, p. 46
u. ö. sowie R. Kannicht (ed.), Euripides’ Helena, Heidelberg 1969, II 16f.
2 Tr. G. F. I p. 11 (s. o. S. 29) und A. Pickard — Cambridge, The Dramatic Festivals of
Athens, Oxford 21968, 82f.; 99f.