Metadaten

Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0043
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Prolog der ‘Bacchen’

41

gesamten Nachlasses der drei großen Tragiker, die am Mouseion im
Laufe des 3. Jh. v. C. geleistet wurde und in der Ausgabe des Aristo-
phanes von Byzanz gegen 200 v. C. ihren ersten Abschluß fand, stellte
die Textüberlieferung dann auf eine neue Grundlage. Mit Sicherheit
gab es fortan einen Tragikertext, wenn auch vermutlich nur in wenigen
— vielleicht sogar nur einem - Exemplaren, dem die Wiederauffüh-
rungspraxis auf den zahllosen Bühnen der griechischen Welt nichts
mehr anhaben konnte und aus dem sich, direkt oder indirekt, die Aus-
wahlausgaben herstellen ließen, die man allenthalben in der Schule und
in den Häusern der bürgerlichen Oberschicht brauchte. Es besteht je-
denfalls heute, so die communis opinio, kein zwingender Grund zu der
Annahme, daß weiterhin Exemplare einzelner Tragödien, die für eine
Aufführung hergerichtet worden waren, auf die Gestalt der Lesetexte in
den Bücherregalen der Gebildeten Einfluß nahmen. Die philologische
Kontrolle, unter der die Stücke der großen Tragiker seit dem 3. Jh. v. C.
standen, setzte sich durch die ganze hellenistisch-römische Periode fort,
insbesondere in Gestalt einer reichen Kommentatoren-Tätigkeit, in der
gerade kritische Fragen erörtert wurden. Diese konnte auch nicht ohne
Wirkung auf die unwissenschaftlichen Auswahlausgaben für Schule und
Haus bleiben. Auch eine moderne Auswahlausgabe der Werke Goe-
thes, die für den Schulunterricht oder die Privatlektüre bestimmt ist,
hängt heute direkt oder indirekt von den wissenschaftlichen, also philo-
logisch kontrollierten Editionen der Werke des Dichters ab.
Der Text, wie ihn Aristophanes von Byzanz herstellte, enthielt zahl-
reiche von ihm selbst als unecht angesehene Partien, die nach den Ge-
pflogenheiten hellenistischer Textkritik bezeichnet, nicht aber elimi-
niert wurden. Es handelt sich, wie die einschlägigen Diskussionen in der
kommentierenden Literatur nach dem Zeignis der uns erhaltenen Scho-
lien zeigen, vorwiegend um sogenannte Schauspielerinterpolationen.
Diese las man demnach schon in den Exemplaren, die von den Alexan-
drinern des 3. Jh. v. C. gesammelt und zur Grundlage ihrer Ausgabe ge-
macht worden waren. Sie stehen deshalb durchweg auch in den byzanti-
nischen Handschriften so gut wie in den hellenistisch-kaiserzeitlichen
Papyri und scheinen damit die Kontinuität eines reinen Lesetextes zu
bezeugen, die von den Alexandrinern bis in unsere Zeit reicht und wäh-
rend dieser ganzen Periode von der Bühnenpraxis nicht mehr beeinflußt
wurde11. Was nämlich in dieser Textmasse von antiken oder modernen
11 Die Fixierung des Tragikertextes durch Aristophanes von Byzanz läßt sich recht wohl
mit der des Homertextes durch Aristarch vergleichen, wie sie durch den Befund in
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften