Metadaten

Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0054
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
52

Albrecht Dihle

die Topographie des Kampfes um die Stadt an ihren sieben Toren
orientiert, während Euripides zwar eine Reihe topographischer Anga-
ben macht, aber die Erwähnung und Benennung der Tore geradezu ver-
meidet. Daß dieses nur für die Verse 1109ff. des ersten Botenberichtes
nicht gilt, darüber wird unten noch ausführlich zu reden sein.
Sinn und Größe des dramatischen Ablaufs erfüllt sich bei Aischylos
darin, daß Eteokles sein durch Verhängnis und Schuld belastetes Leben
für die Bewahrung der Stadt und ihres Gemeinwesens einsetzt und sich
so als verantwortlicher Lenker in höchster Not bewährt. Im Handeln
des Eteokles erhalten auf diese Weise die Greuel des Bruderzwistes und
der Sturz des Labdakiden-Hauses eine positive Bedeutung, denn die
Stadt Theben geht heil aus dem Geschehen hervor. So werden die ‘Sie-
ben’ zum Dokument der politisch-patriotischen Kunst des Aischylos.
Euripides ließ von dieser Sinngebung, mit der Aischylos die düstere
Sage vom Ausgang des Labdakiden-Hauses versehen hatte, nichts be-
stehen: Der Tod der beiden feindlichen Brüder bedeutet nichts als das
sinn- und heillose Ende des ebenso heillosen Labdakiden-Geschlechtes,
unbeschadet der freundlicheren Züge, die Euripides dem Polyneikes
verliehen hat. Die Rettung Thebens aber, von der die Sage in diesem
Zusammenhang berichtete, wird vom Tun des Eteokles und damit vom
Schicksal der Labdakiden gelöst. Sie ergibt sich aus dem freiwilligen
Opfertod des jungen Menoikeus, der mit den fluchbeladenen Labdaki-
den nichts zu schaffen hat. Wie so oft läßt Euripides auch hier das von
der Sagentradition vorgezeichnete Geschehen in gänzlicher Sinn- und
Heillosigkeit ablaufen. Sinn, Rettung, Motivation zum Weiterleben hin-
gegen findet er im Handeln oder Leiden solcher Personen, die erst er
selbst - sei es aus eigener Erfindung, sei es aus anderem Traditionszu-
sammenhang - in die überlieferte Geschichte eingefügt hat: Auturgos
in der ‘Elektra’, Achill in der ‘Aulischen Iphigenie’, Theseus im ‘Herak-
les’ und in den ‘Hiketiden’, Makaria in den ‘Herakliden’.
Diese Betrachtung zeigt, daß man es bei der Menoikeus-Episode der
‘Phoinissen’ nicht mit einer bloßen Nebenhandlung zu tun hat. Das Op-
fer des Menoikeus gibt der Schlacht zwischen Angreifern und Verteidi-
gern, vor deren Hintergrund sich das Geschehen auf der Bühne abspielt
und die einen wichtigen Teil des Mythos ausmacht, ihren positiven, „ai-
schyleischen“ Aspekt in dem Sinn, daß Theben und sein Gemeinwesen
bewahrt bleiben. Zwar wächst Eteokles im Verlauf des Stückes mehr
und mehr in seine Rolle als Führer und Feldherr hinein. Das zeigt ein
Vergleich zwischen der Unterredung Kreon/Eteokles in der Mitte des
Stückes (690-783), in der Kreon der Umsichtigere ist, mit dem ersten
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften