Der Prolog der ‘Bacchen’
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Botenbericht, der über die große Schlacht zwischen Angreifern und
Verteidigern informiert (1090ff.) und Eteokles’ Tätigkeit beschreibt.
Aber den Zweikampf der Brüder, in dem der Kampf um die Stadt bei
Aischylos und in der älteren Tradition gipfelt, hat Euripides zu einem
Nachspiel, zu einer Privatangelegenheit der Oedipussöhne gemacht, die
sich um das Erbe des Vaters streiten. Eteokles fällt nicht, wie bei Ai-
schylos, als Vorkämpfer seiner bedrohten Stadt, sondern nur als Wider-
sacher des Polyneikes. Das Schicksal Thebens ist schon in der ersten
Schlacht, von der der Bote berichtet, entschieden. So jedenfalls muß es
der Zuschauer empfinden, wenn er erfährt, daß von den Angreifern
Parthenopaios (1153ff.) und Kapaneus (1172ff.) bereits gefallen sind,
die Argiver in einen deutlich zu ihren Ungunsten verlaufenden Kampf
weit außerhalb der Mauer verwickelt sind (1186ff.), dem dann nur
durch Eteokles’ Angebot eines Zweikampfes mit seinem Bruder Ein-
halt geboten wird (1223ff.). Die günstige Entscheidung für die Stadt
wird bereits in den einleitenden Worten des ersten Botenberichtes vor-
weggenommen:
O KotöUELGJV ’ Apiqg KQEIOOWV KOtTEOTT] TOÜ Mi)KT|vaiou öopög
(1080f.).
Der Zweikampf und die anschließende allgemeine Flucht der Ein-
dringlinge, die dann der zweite Botenbericht erzählt (1355ff.), geraten
auf solche Weise, was das Schicksal der Stadt anbetrifft, zu einem blos-
sen Nachspiel. Der Zweikampf gehört bei Euripides gar nicht mehr zu
dem gegen Theben gerichteten Krieg, denn es handelt sich um ein ver-
einbartes Duell, dessen Sieger ohne weitere Kampfhandlungen den
Thron seines Vaters in seiner Heimatstadt hätte besteigen können.
Aus welcher Perspektive aber ist nun der Bruderzwist dargestellt,
wenn gleichzeitig, anders als bei Aischylos, sein traditioneller Zusam-
menhang mit der Bedrohung und Rettung Thebens derart gelockert
wird? Ganz offenkundig sind es die Augen der Mutter, der Jokaste, mit
denen der Zuschauer die Brüder sehen soll. Diese Sehweise bestimmt
große Teile des Textes der Tragödie, und man darf sagen, daß unter
diesem Gesichtspunkt Jokaste geradezu als Hauptperson des Dramas,
jedenfalls aber als seine einzige im modernen Sinn „tragische“ Gestalt
betrachtet werden darf. Allenfalls dem euripideischen Polyneikes könn-
te man dieses Prädikat auch noch zuerkennen. In der Hekabe des
gleichnamigen Dramas und der ‘Troerinnen’ hat die Jokaste der ‘Phoi-
nissen’ ihre Parallelgestalten: Immer wieder geht es um die Darstellung
einer Katastrophe aus der Sicht der überlebenden Mutter.
Jokastes wichtige Rolle zeigt sich im ersten Drittel des Stückes in dem
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Botenbericht, der über die große Schlacht zwischen Angreifern und
Verteidigern informiert (1090ff.) und Eteokles’ Tätigkeit beschreibt.
Aber den Zweikampf der Brüder, in dem der Kampf um die Stadt bei
Aischylos und in der älteren Tradition gipfelt, hat Euripides zu einem
Nachspiel, zu einer Privatangelegenheit der Oedipussöhne gemacht, die
sich um das Erbe des Vaters streiten. Eteokles fällt nicht, wie bei Ai-
schylos, als Vorkämpfer seiner bedrohten Stadt, sondern nur als Wider-
sacher des Polyneikes. Das Schicksal Thebens ist schon in der ersten
Schlacht, von der der Bote berichtet, entschieden. So jedenfalls muß es
der Zuschauer empfinden, wenn er erfährt, daß von den Angreifern
Parthenopaios (1153ff.) und Kapaneus (1172ff.) bereits gefallen sind,
die Argiver in einen deutlich zu ihren Ungunsten verlaufenden Kampf
weit außerhalb der Mauer verwickelt sind (1186ff.), dem dann nur
durch Eteokles’ Angebot eines Zweikampfes mit seinem Bruder Ein-
halt geboten wird (1223ff.). Die günstige Entscheidung für die Stadt
wird bereits in den einleitenden Worten des ersten Botenberichtes vor-
weggenommen:
O KotöUELGJV ’ Apiqg KQEIOOWV KOtTEOTT] TOÜ Mi)KT|vaiou öopög
(1080f.).
Der Zweikampf und die anschließende allgemeine Flucht der Ein-
dringlinge, die dann der zweite Botenbericht erzählt (1355ff.), geraten
auf solche Weise, was das Schicksal der Stadt anbetrifft, zu einem blos-
sen Nachspiel. Der Zweikampf gehört bei Euripides gar nicht mehr zu
dem gegen Theben gerichteten Krieg, denn es handelt sich um ein ver-
einbartes Duell, dessen Sieger ohne weitere Kampfhandlungen den
Thron seines Vaters in seiner Heimatstadt hätte besteigen können.
Aus welcher Perspektive aber ist nun der Bruderzwist dargestellt,
wenn gleichzeitig, anders als bei Aischylos, sein traditioneller Zusam-
menhang mit der Bedrohung und Rettung Thebens derart gelockert
wird? Ganz offenkundig sind es die Augen der Mutter, der Jokaste, mit
denen der Zuschauer die Brüder sehen soll. Diese Sehweise bestimmt
große Teile des Textes der Tragödie, und man darf sagen, daß unter
diesem Gesichtspunkt Jokaste geradezu als Hauptperson des Dramas,
jedenfalls aber als seine einzige im modernen Sinn „tragische“ Gestalt
betrachtet werden darf. Allenfalls dem euripideischen Polyneikes könn-
te man dieses Prädikat auch noch zuerkennen. In der Hekabe des
gleichnamigen Dramas und der ‘Troerinnen’ hat die Jokaste der ‘Phoi-
nissen’ ihre Parallelgestalten: Immer wieder geht es um die Darstellung
einer Katastrophe aus der Sicht der überlebenden Mutter.
Jokastes wichtige Rolle zeigt sich im ersten Drittel des Stückes in dem