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Albrecht Dihle
Verhältnis und erweisen sich dadurch als typisches Werk aus der Spät-
phase der klassischen Tragödie.
Akzeptiert man nun diese doppelte Deutung des euripideischen Dra-
mas, ergeben sich daraus Konsequenzen für die Beurteilung jener Par-
tien, die aus irgendeinem Grunde dem Verdacht der Interpolation aus-
gesetzt sind. Insbesondere der Schluß mit der in ihrem Charakter völlig
gewandelten Antigone und mit der Konzentration auf zwei Themen -
Verbannung des Oedipus und Bestattung des Polyneikes - die mit einer
Jokaste-Handlung auch im Sinn eines Nachspiels wenig oder nichts zu
tun haben, muß dann sehr befremden. Indessen liegt bzw. lag es nicht
fern, daß die in der geschilderten Hinsicht durchaus positive Beziehung
des Stückes zur sophokleischen Gestaltung der Oedipus-Sage Interpo-
latoren oder Nachdichter zu Supplementen anregen konnte, die ihrer-
seits weitere sophokleische Motive in die ‘Phoinissen’ hineintrugen. Das
gilt für das Bestattungsverbot, das aus der ‘Antigone’ stammt und das
Motiv der Verbannung des Oedipus aus dem ‘Oedipus auf Kolonos’.
Ohne die Bezugnahme auf diese beiden Stücke ist der Schluß der
Tragödie in der vorliegenden Form unverständlich. Die Beziehung zu
dem ‘König Oedipus’ aber wird durch ein wörtliches Zitat in den
Schlußversen ganz deutlich gemacht (1758f. = 1524f.).
Die antike Philologie hat an dieser Stoffülle des Stückes Anstoß ge-
nommen. Die erste Hypothesis, die seine Bühnenwirksamkeit (xaig
OKT|ViKaLq örpEOi icaXöv) und seinen Reichtum an Sentenzen (yvcDpcbv
psoTÖv koXacüv kcü kuXcov) hervorhebt, nennt es „rollenreich“ (jtoXu-
jiqöocdjtov) und „stoffüberladen“ (GcxoaTT/.qoojLuxTiKÖv). Sie tadelt fer-
ner die Teichoskopie am Anfang als nicht zum Drama gehörig, die Fol-
genlosigkeit der Begegnung Polyneikes-Eteokles (oüösvög evekq) und
die unnötigerweise (öict Ksvrjg) angeflickte (jipooEppaKTai) wortreiche
(|1et’ cpöfjg äöoXso/ou) Oedipus-Szene des Schlußes. Das Scholion zu
1692 bemängelt gewiß nicht ohne Grund, daß Antigones zwei tapfer
angekündigte Entschlüsse, nämlich den toten Bruder gegen das Gebot
Kreons zu bestatten und sogleich mit dem blinden Vater in die Verban-
nung zu gehen, sich nicht vereinen lassen: Htbg OdtyEi HoXuvEiKqv ’Av-
Tiyövq GuiicpEbyonoa tcü jicitqi? Anstoß nahm man also vornehmlich
am Schluß des Stückes mit seinen breit ausgeführten Motiven, die mit
der übrigen Handlung in keinem notwendigen Zusammenhang stehen,
aber unmittelbar auf die Oedipus/Antigone-Sage in ihrer Gestaltung
durch zwei berühmte Tragödien des Sophokles verweisen - von denen
freilich die eine später entstand als die ‘Phoinissen’.
Auch die neuere Forschung seit Valckenaer hat vor allem im Schluß
Albrecht Dihle
Verhältnis und erweisen sich dadurch als typisches Werk aus der Spät-
phase der klassischen Tragödie.
Akzeptiert man nun diese doppelte Deutung des euripideischen Dra-
mas, ergeben sich daraus Konsequenzen für die Beurteilung jener Par-
tien, die aus irgendeinem Grunde dem Verdacht der Interpolation aus-
gesetzt sind. Insbesondere der Schluß mit der in ihrem Charakter völlig
gewandelten Antigone und mit der Konzentration auf zwei Themen -
Verbannung des Oedipus und Bestattung des Polyneikes - die mit einer
Jokaste-Handlung auch im Sinn eines Nachspiels wenig oder nichts zu
tun haben, muß dann sehr befremden. Indessen liegt bzw. lag es nicht
fern, daß die in der geschilderten Hinsicht durchaus positive Beziehung
des Stückes zur sophokleischen Gestaltung der Oedipus-Sage Interpo-
latoren oder Nachdichter zu Supplementen anregen konnte, die ihrer-
seits weitere sophokleische Motive in die ‘Phoinissen’ hineintrugen. Das
gilt für das Bestattungsverbot, das aus der ‘Antigone’ stammt und das
Motiv der Verbannung des Oedipus aus dem ‘Oedipus auf Kolonos’.
Ohne die Bezugnahme auf diese beiden Stücke ist der Schluß der
Tragödie in der vorliegenden Form unverständlich. Die Beziehung zu
dem ‘König Oedipus’ aber wird durch ein wörtliches Zitat in den
Schlußversen ganz deutlich gemacht (1758f. = 1524f.).
Die antike Philologie hat an dieser Stoffülle des Stückes Anstoß ge-
nommen. Die erste Hypothesis, die seine Bühnenwirksamkeit (xaig
OKT|ViKaLq örpEOi icaXöv) und seinen Reichtum an Sentenzen (yvcDpcbv
psoTÖv koXacüv kcü kuXcov) hervorhebt, nennt es „rollenreich“ (jtoXu-
jiqöocdjtov) und „stoffüberladen“ (GcxoaTT/.qoojLuxTiKÖv). Sie tadelt fer-
ner die Teichoskopie am Anfang als nicht zum Drama gehörig, die Fol-
genlosigkeit der Begegnung Polyneikes-Eteokles (oüösvög evekq) und
die unnötigerweise (öict Ksvrjg) angeflickte (jipooEppaKTai) wortreiche
(|1et’ cpöfjg äöoXso/ou) Oedipus-Szene des Schlußes. Das Scholion zu
1692 bemängelt gewiß nicht ohne Grund, daß Antigones zwei tapfer
angekündigte Entschlüsse, nämlich den toten Bruder gegen das Gebot
Kreons zu bestatten und sogleich mit dem blinden Vater in die Verban-
nung zu gehen, sich nicht vereinen lassen: Htbg OdtyEi HoXuvEiKqv ’Av-
Tiyövq GuiicpEbyonoa tcü jicitqi? Anstoß nahm man also vornehmlich
am Schluß des Stückes mit seinen breit ausgeführten Motiven, die mit
der übrigen Handlung in keinem notwendigen Zusammenhang stehen,
aber unmittelbar auf die Oedipus/Antigone-Sage in ihrer Gestaltung
durch zwei berühmte Tragödien des Sophokles verweisen - von denen
freilich die eine später entstand als die ‘Phoinissen’.
Auch die neuere Forschung seit Valckenaer hat vor allem im Schluß