90
Albrecht Dihle
nen Punkte säuberlich auf eine Serie von Zweiergesprächen - Kreon /
Oedipus, Antigone / Kreon, Oedipus / Antigone - verteilt. Das gilt auch
für die lange Stichomythie (1645-1706), die in Wahrheit auf zwei Sti-
chomythien - Antigone / Kreon, Oedipus / Antigone - aufgeteilt ist.
Deutlich wird dieser schematische Aufbau auch in den Versen
1637-45. Antigone geht hier zunächst auf die Klagen des Oedipus
1595-1621 ein und bezieht sich dann in zwei Fragen auf Kreons vor-
angegangene Ausführungen. Auf den Inhalt seiner an sie selbst ge-
richteten Worte in 1636-38 kommt sie von sich aus gar nicht zu spre-
chen, denn dieses Thema ist erst im späteren Verlauf der Sticho-
mythie (1672ff.) an der Reihe, und es ist Kreon, der es dort zur Sprache
bringt.
Ein Wort noch zum Bestattungsverbot, das Kreon 1627ff. ausspricht.
Die Tilgung oder Verteidigung sowohl dieser Verse wie der ihnen ent-
sprechenden 774ff., die den einzigen, ganz isolierten Verweis auf dieses
Motiv in der übrigen Tragödie enthalten, hat schon oft den Ausgangs-
punkt der Erörterungen des Interpolationsproblems im Hinblick auf die
‘Phoinissen’ gebildet.
Zwei Gründe, mit denen die Vertreter der Interpolationshypothese
die Unechtheit der Verse 774-777 verfochten haben, konnten m. W.
bisher nicht überzeugend entkräftet werden. Im Zusammenhang der
Stelle müßte das vorsorgliche Bestattungsverbot zu den „letztwilligen“
Bestimmungen gehören, die Eteokles vor der Schlacht dem Kreon mit-
teilt. Diese aber reichen von 757-765, während die Verse von 766 an
bereits auf die unmittelbare Zukunft gerichtete Maßnahmen des Ober-
befehlshabers enthalten. Der zweite, wichtigere Grund liegt darin, daß
es höchst merkwürdig wäre, wenn Eteokles mit dem Sieg seiner Sache,
aber nicht mit dem eigenen Überleben rechnete. Weder die Verse
753ff. noch sein Gebet vor dem Zweikampf 1373ff. lassen eine derarti-
ge Ahnung bei ihm vermuten. Für den Fall, daß er siegt, braucht er also
nicht Kreon einen Auftrag zu erteilen (774), wie mit dem Leichnam des
Polyneikes zu verfahren sei. Die Verse 774ff. rechnen mit Zuschauern,
die eine der ‘Antigone’ des Sophokles vergleichbare Handlung erwar-
ten, und zwar in einer reichlich plumpen Weise. Diese Antigone-Hand-
lung aber ist dem dramatischen Vorwurf der ‘Phoinissen’ fremd, wenn
auch zugegeben ist, daß Euripides an die ‘Phoinissen’ eine ‘Antigone’
als neues Stück mit eigener Problemstellung hätte anschließen können.
Das, was wir über Antigone im Verlauf der ‘Phoinissen’ vor der
Schlußszene erfahren, zeigt sie durchaus als Nebenfigur und stattet sie
Albrecht Dihle
nen Punkte säuberlich auf eine Serie von Zweiergesprächen - Kreon /
Oedipus, Antigone / Kreon, Oedipus / Antigone - verteilt. Das gilt auch
für die lange Stichomythie (1645-1706), die in Wahrheit auf zwei Sti-
chomythien - Antigone / Kreon, Oedipus / Antigone - aufgeteilt ist.
Deutlich wird dieser schematische Aufbau auch in den Versen
1637-45. Antigone geht hier zunächst auf die Klagen des Oedipus
1595-1621 ein und bezieht sich dann in zwei Fragen auf Kreons vor-
angegangene Ausführungen. Auf den Inhalt seiner an sie selbst ge-
richteten Worte in 1636-38 kommt sie von sich aus gar nicht zu spre-
chen, denn dieses Thema ist erst im späteren Verlauf der Sticho-
mythie (1672ff.) an der Reihe, und es ist Kreon, der es dort zur Sprache
bringt.
Ein Wort noch zum Bestattungsverbot, das Kreon 1627ff. ausspricht.
Die Tilgung oder Verteidigung sowohl dieser Verse wie der ihnen ent-
sprechenden 774ff., die den einzigen, ganz isolierten Verweis auf dieses
Motiv in der übrigen Tragödie enthalten, hat schon oft den Ausgangs-
punkt der Erörterungen des Interpolationsproblems im Hinblick auf die
‘Phoinissen’ gebildet.
Zwei Gründe, mit denen die Vertreter der Interpolationshypothese
die Unechtheit der Verse 774-777 verfochten haben, konnten m. W.
bisher nicht überzeugend entkräftet werden. Im Zusammenhang der
Stelle müßte das vorsorgliche Bestattungsverbot zu den „letztwilligen“
Bestimmungen gehören, die Eteokles vor der Schlacht dem Kreon mit-
teilt. Diese aber reichen von 757-765, während die Verse von 766 an
bereits auf die unmittelbare Zukunft gerichtete Maßnahmen des Ober-
befehlshabers enthalten. Der zweite, wichtigere Grund liegt darin, daß
es höchst merkwürdig wäre, wenn Eteokles mit dem Sieg seiner Sache,
aber nicht mit dem eigenen Überleben rechnete. Weder die Verse
753ff. noch sein Gebet vor dem Zweikampf 1373ff. lassen eine derarti-
ge Ahnung bei ihm vermuten. Für den Fall, daß er siegt, braucht er also
nicht Kreon einen Auftrag zu erteilen (774), wie mit dem Leichnam des
Polyneikes zu verfahren sei. Die Verse 774ff. rechnen mit Zuschauern,
die eine der ‘Antigone’ des Sophokles vergleichbare Handlung erwar-
ten, und zwar in einer reichlich plumpen Weise. Diese Antigone-Hand-
lung aber ist dem dramatischen Vorwurf der ‘Phoinissen’ fremd, wenn
auch zugegeben ist, daß Euripides an die ‘Phoinissen’ eine ‘Antigone’
als neues Stück mit eigener Problemstellung hätte anschließen können.
Das, was wir über Antigone im Verlauf der ‘Phoinissen’ vor der
Schlußszene erfahren, zeigt sie durchaus als Nebenfigur und stattet sie