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Albrecht Dihle
es keine Leere, denn sonst könnte es nicht Abstufungen in der Dunkel-
heit des Sehens geben.
Daß alle Gegenstände Emanationen aussenden (curoppoai), hatte
zuerst wohl Empedokles gelehrt (VS B 89). Ob er freilich den Sehvor-
gang aus dem Zusammenspiel zwischen einer Emanation des Objektes
und einer des Auges erklärt, ist unsicher, ja unwahrscheinlich, wie die
Interpretation lehrt, die C. W. Müller zum Fragment 84 und zum Paral-
lelbericht bei Theophrast (A 86) vorgelegt hat (Gleiches zu Gleichem,
Wiesbaden 1965, 60f.). Das Laternengleichnis in B 84 soll wohl nur die
Durchlässigkeit des Auges, nicht seine Strahlung veranschaulichen, auf
die es in den übrigen Resten der Lehre des Empedokles keinen Hinweis
gibt. Das zeigt auch die Behandlung der einschlägigen Stellen durch
Jean Bollack (Empedocle, Paris 1969 II 135ff.; III 314ff.).
Während nun Platon offenbar Demokrits Modell übernommen und
im Hinblick auf den bei Demokrit nicht weiter bedeutsamen Grundsatz
der Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche modifiziert hat, verein-
fachte es Epikur zu einer reinen Eidola-Lehre (fr. 318/19 Usener). Die
Stoiker übernahmen demgegenüber die Vorstellung von der Luftsäule
zwischen Sehorgan und Objekt, ließen diese aber nicht mehr von beiden
Seiten gedrückt und geformt werden, sondern nur durch den vom He-
gemonikon des Sehenden durch das Auge ausgesandten Pneuma- oder
Lichtstrahl (SVF 2, 863ff., vor allem 866 und 871).
Es kann sehr wohl sein, daß die einseitig objektbezogene Theorie
Epikurs bei Leukipp, die einseitig subjektbezogene der Stoiker bei Ar-
chytas ihre Vorstufen hatten.
Dieser Überblick zeigt, daß man mit der Vorstellung von einem Seh-
strahl, den das Auge aussendet, nach allem, was wir wissen, nicht in die
Zeit vor Demokrit gelangt. Die Verwendung dieser Vorstellung in dem
besprochenen Euripides-Vers aber setzt eine gewisse Geläufigkeit bei
Dichter und Hörer im Umgang mit dieser Theorie voraus. Gerade der
Ausdruck depiog öKÖxog (1533) verweist auf die Rolle des ctvjQ beim
Zustandekommen des Sehaktes in Demokrits Lehre, und Platon erklär-
te (Tim. 45 d 5/6), daß der lichtartige Sehstrom, der aus dem Auge tritt,
bei Nacht, also wenn man nichts sehen kann, der umgebenden Luft (xd)
nkr|aiov depi) nicht verwandt sei (oupqyuEg) und so eine Verschmelzung
der beiderseitigen Emissionen nicht zustande komme.
Demokrit, um die Mitte des Jahrhunderts geboren, konnte seine
Theorie durchaus schon konzipiert und publiziert haben, als die ‘Phoi-
nissen’ etwa im Jahre 410 aufgeführt wurden. Aber kannte man sie da-
mals in Athen? Sein berühmter Ausspruch fjXOov elg ’AOrjvag Kai. ovxtg
Albrecht Dihle
es keine Leere, denn sonst könnte es nicht Abstufungen in der Dunkel-
heit des Sehens geben.
Daß alle Gegenstände Emanationen aussenden (curoppoai), hatte
zuerst wohl Empedokles gelehrt (VS B 89). Ob er freilich den Sehvor-
gang aus dem Zusammenspiel zwischen einer Emanation des Objektes
und einer des Auges erklärt, ist unsicher, ja unwahrscheinlich, wie die
Interpretation lehrt, die C. W. Müller zum Fragment 84 und zum Paral-
lelbericht bei Theophrast (A 86) vorgelegt hat (Gleiches zu Gleichem,
Wiesbaden 1965, 60f.). Das Laternengleichnis in B 84 soll wohl nur die
Durchlässigkeit des Auges, nicht seine Strahlung veranschaulichen, auf
die es in den übrigen Resten der Lehre des Empedokles keinen Hinweis
gibt. Das zeigt auch die Behandlung der einschlägigen Stellen durch
Jean Bollack (Empedocle, Paris 1969 II 135ff.; III 314ff.).
Während nun Platon offenbar Demokrits Modell übernommen und
im Hinblick auf den bei Demokrit nicht weiter bedeutsamen Grundsatz
der Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche modifiziert hat, verein-
fachte es Epikur zu einer reinen Eidola-Lehre (fr. 318/19 Usener). Die
Stoiker übernahmen demgegenüber die Vorstellung von der Luftsäule
zwischen Sehorgan und Objekt, ließen diese aber nicht mehr von beiden
Seiten gedrückt und geformt werden, sondern nur durch den vom He-
gemonikon des Sehenden durch das Auge ausgesandten Pneuma- oder
Lichtstrahl (SVF 2, 863ff., vor allem 866 und 871).
Es kann sehr wohl sein, daß die einseitig objektbezogene Theorie
Epikurs bei Leukipp, die einseitig subjektbezogene der Stoiker bei Ar-
chytas ihre Vorstufen hatten.
Dieser Überblick zeigt, daß man mit der Vorstellung von einem Seh-
strahl, den das Auge aussendet, nach allem, was wir wissen, nicht in die
Zeit vor Demokrit gelangt. Die Verwendung dieser Vorstellung in dem
besprochenen Euripides-Vers aber setzt eine gewisse Geläufigkeit bei
Dichter und Hörer im Umgang mit dieser Theorie voraus. Gerade der
Ausdruck depiog öKÖxog (1533) verweist auf die Rolle des ctvjQ beim
Zustandekommen des Sehaktes in Demokrits Lehre, und Platon erklär-
te (Tim. 45 d 5/6), daß der lichtartige Sehstrom, der aus dem Auge tritt,
bei Nacht, also wenn man nichts sehen kann, der umgebenden Luft (xd)
nkr|aiov depi) nicht verwandt sei (oupqyuEg) und so eine Verschmelzung
der beiderseitigen Emissionen nicht zustande komme.
Demokrit, um die Mitte des Jahrhunderts geboren, konnte seine
Theorie durchaus schon konzipiert und publiziert haben, als die ‘Phoi-
nissen’ etwa im Jahre 410 aufgeführt wurden. Aber kannte man sie da-
mals in Athen? Sein berühmter Ausspruch fjXOov elg ’AOrjvag Kai. ovxtg