Der Prolog der 'Bacchen'
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rer Dichtung, das gute Gelingen bedeutet oder als vox media auf alles
verweist, was dem Menschen an Gutem oder Bösem ohne sein Zutun
widerfahren kann, immer wieder erscheint das Wort, darin potpa oder
aioa ähnlich, als Chiffre für die Schickung der Götter. 0Eia tü/t],
öaipcüv Kai rü/r], Tir/jq 0ewv, tv/t] Kai polpa u. v. a. Ausdrücke dieser
Art, die sich in Poesie und Prosa von den frühgriechischen Dichtern bis
zu den attischen Rednern in großer Zahl nachweisen lassen, zeigen un-
mißverständlich an, daß alles, was dem Menschen als rv/r] zustößt, in
jeder Einzelsituation auf göttliche Aktivität zurückgeführt werden
kann. Mit öai[io)v oder öaipovEg wird in derartigem Zusammenhang
stets auf die Gottheit Bezug genommen, sei es auf einen, in der betref-
fenden Situation oder für den betreffenden Menschen besonders zu-
ständigen Gott, sei es auf die Götter oder das Göttliche schlechthin. An
der o. g. Stelle in den ‘Phoinissen’ treten öaipwv und tü/t] offenbar in
einen Gegensatz, und zwar nicht in dem Sinn, daß dem zielgerichteten
Walten einer göttlichen Person der blinde Zufall entgegengesetzt wird.
Vielmehr - das ergibt der Zusammenhang, in dem vom vorsätzlichen
Tun des Polyneikes die Rede ist — hat hier ein Mensch versucht, durch
eigene Aktivität seinen Daimon, also doch wohl die Lenkung seines
persönlichen Schicksals, nicht der Tyche zu überlassen. Wem fiele da-
bei nicht Heraklits berühmter Spruch ein (B 119)? ’H0og avOpcoTO)
öaipajv bedeutet doch wohl, daß der Lebensweg eines Menschen ment
von außen durch die Einwirkung eines Gottes, sondern durch sein eige-
nes Wesen bestimmt wird. Dabei bedeutet f|0og weniger das, was ein
Mensch von Natur aus ist, als das, was er durch sein Handeln aus sich
gemacht hat - eben wie der im Krieg Gefallene durch seinen Einsatz ein
dvf]Q dya0ög geworden ist. (Aristoteles’ Konzeption der f]0iKai dpEiai
als E^sig JTQoaiQETiKai entspricht, alter, im griechischen Sprachge-
brauch überlieferter Vorstellungweise.) An unserer Stelle entschuldigt
Antigone das Verhalten ihres Bruders damit, daß er dem Zufall, der ihn
in der Gestalt des unvorhersehbaren Vertragsbruches des Eteokles vom
Herrscheramt ausschloß, nicht seinen Daimon ausliefern wollte, seine
aus Herkunft und Leistung, aus (püotg und f]0og, resultierende Bestim-
mung für den Anteil an der Herrschaft. Wohl nur mit dem Rückgriff auf
die Vorstellung, daß der öaipwv als Lenker des Menschenschicksals sei-
nen Sitz in der Seele habe, läßt sich der Vers verstehen.
Heraklits berühmte Sentenz bezeugt diese Vorstellung, doch ist sie
ganz singulär in der archaisch-klassischen Zeit, mag auch die Überzeu-
gung, daß seine eigene sittliche Kraft den Menschen über die Wechsel-
fälle des Zufalls erheben und seinem Wesen Dauer verleihen kann, ge-
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rer Dichtung, das gute Gelingen bedeutet oder als vox media auf alles
verweist, was dem Menschen an Gutem oder Bösem ohne sein Zutun
widerfahren kann, immer wieder erscheint das Wort, darin potpa oder
aioa ähnlich, als Chiffre für die Schickung der Götter. 0Eia tü/t],
öaipcüv Kai rü/r], Tir/jq 0ewv, tv/t] Kai polpa u. v. a. Ausdrücke dieser
Art, die sich in Poesie und Prosa von den frühgriechischen Dichtern bis
zu den attischen Rednern in großer Zahl nachweisen lassen, zeigen un-
mißverständlich an, daß alles, was dem Menschen als rv/r] zustößt, in
jeder Einzelsituation auf göttliche Aktivität zurückgeführt werden
kann. Mit öai[io)v oder öaipovEg wird in derartigem Zusammenhang
stets auf die Gottheit Bezug genommen, sei es auf einen, in der betref-
fenden Situation oder für den betreffenden Menschen besonders zu-
ständigen Gott, sei es auf die Götter oder das Göttliche schlechthin. An
der o. g. Stelle in den ‘Phoinissen’ treten öaipwv und tü/t] offenbar in
einen Gegensatz, und zwar nicht in dem Sinn, daß dem zielgerichteten
Walten einer göttlichen Person der blinde Zufall entgegengesetzt wird.
Vielmehr - das ergibt der Zusammenhang, in dem vom vorsätzlichen
Tun des Polyneikes die Rede ist — hat hier ein Mensch versucht, durch
eigene Aktivität seinen Daimon, also doch wohl die Lenkung seines
persönlichen Schicksals, nicht der Tyche zu überlassen. Wem fiele da-
bei nicht Heraklits berühmter Spruch ein (B 119)? ’H0og avOpcoTO)
öaipajv bedeutet doch wohl, daß der Lebensweg eines Menschen ment
von außen durch die Einwirkung eines Gottes, sondern durch sein eige-
nes Wesen bestimmt wird. Dabei bedeutet f|0og weniger das, was ein
Mensch von Natur aus ist, als das, was er durch sein Handeln aus sich
gemacht hat - eben wie der im Krieg Gefallene durch seinen Einsatz ein
dvf]Q dya0ög geworden ist. (Aristoteles’ Konzeption der f]0iKai dpEiai
als E^sig JTQoaiQETiKai entspricht, alter, im griechischen Sprachge-
brauch überlieferter Vorstellungweise.) An unserer Stelle entschuldigt
Antigone das Verhalten ihres Bruders damit, daß er dem Zufall, der ihn
in der Gestalt des unvorhersehbaren Vertragsbruches des Eteokles vom
Herrscheramt ausschloß, nicht seinen Daimon ausliefern wollte, seine
aus Herkunft und Leistung, aus (püotg und f]0og, resultierende Bestim-
mung für den Anteil an der Herrschaft. Wohl nur mit dem Rückgriff auf
die Vorstellung, daß der öaipwv als Lenker des Menschenschicksals sei-
nen Sitz in der Seele habe, läßt sich der Vers verstehen.
Heraklits berühmte Sentenz bezeugt diese Vorstellung, doch ist sie
ganz singulär in der archaisch-klassischen Zeit, mag auch die Überzeu-
gung, daß seine eigene sittliche Kraft den Menschen über die Wechsel-
fälle des Zufalls erheben und seinem Wesen Dauer verleihen kann, ge-