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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0104
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102

Albrecht Dihle

scheinlichkeit dieser Deutung hat schon Friedrich (aaO. 291) erwiesen.
Zwar würde mit einer solchen Annahme Kreons empörter Ausruf eiöe;
tö TÖk|ir|[i’ (1676) besser motiviert. Aber das folgende oiov e^cdveiöi-
oev paßt nur zu einer verbalen Unverschämtheit, nicht zu einer Aufse-
hen erregenden Handlung. Daß man aber auf eine unerhörte Aussage
mit einem Ausdruck des Sehens (siösg 1676) verweisen kann, dafür hat
Fraenkel Parallelen aus dem attischen Drama vorgelegt (aaO. 111).
Mit der Tilgung eines Verspaares oder auch zweier Verspaare aus
diesem Zusammenhang kommt man ebenso wenig weiter wie mit dra-
stischen Umstellungen. Denn wenn z. B. 1676 und 1678 die Plätze
tauschten, wäre Kreons sachlich-nüchterne Rückfrage angesichts der
Ankündigung, die Brautnacht werde seinem Sohn das Leben kosten,
gleichfalls mehr als seltsam. Dazu käme Antigones Erklärung, sie werde
ihrem Vater in die Verbannung folgen (1679), ohne die Frage Kreons
zustande, die ihr doch offensichtlich zuzuordnen ist (1678).
Es bleibt dabei, daß man sich über das unmotivierte Auftauchen sei-
nes Schwertes in der Hand Antigones (1677) nur wundern kann, und
ebenso über Kreons gelassene Reaktion auf diesen Anblick. Die „Bear-
beitung“ des ganzen stichomythischen Abschnittes, darin wird man
Fraenkel zustimmen, reicht sehr tief.
Am ehesten läßt sich auf die Schwertszene ein Vers machen, wenn
Antigone dieses Requisit mit auf die Bühne gebracht hat, als sie in Be-
gleitung der Totenbahren auftrat. Allerdings paßt ein solches Schwert
nun weder zur weiblichen Rolle in einer attischen Tragödie des 5. Jh. im
allgemeinen, noch zur Antigone der ‘Phoinissen’ im besonderen. Sie ist
schüchtern und auf das weibliche Dekorum bedacht (1275 kol, jioiq-
ösvcDvotg EK/ajroüoa 1276 aiöov|iE6' ö/Xov), und keine andere Partie im
Hauptteil der Tragödie vermittelt von ihr ein Bild, das der Heldin der
sophokleischen ‘Antigone’ gleicht. Wenn Antigone hier also mit einem
Schwert auftreten mußte, kann man das am ehesten verstehen, wenn
die ganze Kreon/Oedipus/Antigone-Szene für eine isolierte Auffüh-
rung im Sinn hellenistischer Bühnenpraxis bearbeitet oder sogar neu
gedichtet worden war. Dabei konnte man Antigone von vornherein mit
einem Schwert auf die Bühne bringen. Zu dieser Annahme paßt zudem
der Charakter, den Antigone eben nur am Schluß der ‘Phoinissen’ trägt
und der überdeutlich aus der ‘Antigone’ des Sophokles abgeleitet ist,
aus der auch das Bestattungs- und das Haimon-Motiv stammen. Auf die
Gestalt der Antigone, wie sie im Hauptteil der ‘Phoinissen’ dem Zu-
schauer entgegentritt, brauchte das Arrangement für die Aufführung
 
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