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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0115
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Der Prolog der ‘Bacchen’

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Warum hat man diese Verse eingefügt? Ein bearbeitender „Drama-
turg“, der das ganze Stück für eine Wiederaufführung durchsah, wäre
wohl kaum auf den Gedanken gekommen, diesen unnötigen und stö-
renden Zusatz anzubringen. Wenn man sich aber vorstellt, daß die Par-
tie von 1352 bis 1502 als musikalische Darbietung von einem Virtuosen
mit begleitendem Chor getrennt aufgeführt werden sollte, liegt die An-
nahme nahe, der Bearbeiter habe mit diesen Versen einen Hinweis auf
die Lokalität für diejenigen Zuschauer geben wollen, denen die Hand-
lung des euripideischen ‘Orestes’ eben nicht in allen Einzelheiten ge-
genwärtig war.
Die Partie mit der Phrygerarie lag also in einigen, aber vermutlich
nicht allen späthellenistischen oder kaiserzeitlichen Exemplaren in ei-
ner Fassung vor, die durch eine Bühneninterpolation erweitert war.
Diese Interpolation, die von Grammatikern textkritisch erörtert wurde,
entstand unter den spezifischen Bedingungen nachklassischer Auffüh-
rungspraxis. Es ist sogar möglich - wenn man sich damit auch auf den
Boden reiner Spekulation begibt - daß es Einzelaufführungen der Par-
tie mit der Phrygerarie gegeben hatte, in denen der Sklave tatsächlich
auf dem Dach des Palastes auftrat und das Publikum die Verse 1371f.
entsprechend verstand, und daß die Interpolation 1366ff. auf eine an-
dere Form der Einzelaufführung deutet. Aber das sind, wie gesagt Spe-
kulationen. Die Angabe, daß man es hier mit einer Schauspielerinter-
polation zu tun hat, muß man demgegenüber ernst nehmen.
Verweise auf eine Textvariante, die aus der Bühnenpraxis kommt
und darum ausdrücklich den ütiokqitcu zugeschrieben wird, gibt es in
den Euripides-Scholien insgesamt 14 mal. (In den Scholien des Jerusa-
lemer Palimpsestes gibt es solche Hinweise nicht.) Davon entfallen 7
auf die ‘Medea’, 5 auf den ‘Orestes’ und je eine Notiz auf ‘Phoinissen’
und ‘Andromache’ - gewiß eine Verteilung, die für die Frequenz der
Wiederaufführungen nicht uninteressant ist.
Mehrere dieser Notizen beziehen sich mit Sicherheit auf die helleni-
stische, nachalexandrinische Bühnenpraxis. Das wird in einigen Fällen
durch die ausdrückliche Beziehung auf die jetzigen, modernen Schau-
spieler (oi vüv ünoKQiTai Or. 57; 268) nahegelegt, in anderen durch die
damit kombinierten Anmerkungen späthellenistischer bzw. frühkaiser-
zeitlicher Gelehrter wie Philoxenos (Phoen. 264), Didymos (Med. 356/
380), Apollodor von Tarsos (Med. 169). In einigen Fällen führen
sprachliche Indizien auf die späte Herkunft der Bühnenvarianten, so im
Scholion zu Andr. 6f. vüv ö’, ei Tig dkXq, duovc/eo-rarr] yvvf] / euoü jte-
cpuKEV f| yevijaETOU jiote. Der syntaktisch in der Luft hängende Vers 7,
 
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