Sir Ronald Syme, 'Die römische Revolution’ und die deutsche Althistorie 39
Die Tradition einer einfachen narrativen Historie - mit hoher wissen-
schaftlicher und literarischer Qualität - war dort immer wirksam,
bis zum heutigen Tag, während wir in Deutschland kaum einen ähn-
lich ununterbrochenen Einfluß der alten erzählenden Geschichts-
schreibung feststellen könnten.
Einer der wichtigsten Gründe für den Wandel in Deutschland ist
ohne jeden Zweifel der überwältigende Einfluß Th. Mommsens -
desselben Mommsen, dessen 'Römische Geschichte’ das Glanzstück
der narrativen Historie in deutscher Sprache ist: Das Buch Momm-
sens aber, dessen Wirkung auf die deutsche Altertumswissenschaft
wirklich ungeheuerlich groß war, ist nicht die 'Römische Geschichte’,
sondern sein späteres großes Werk, das 'Römische Staatsrecht’ - mit
der Theorie der 'Dyarchie’, und vor allem mit dem Eindruck auf
den Leser, daß das Studium der Institutionen, der Verfassungs- und
Rechtsgeschichte, eben des 'Staatsrechts’, der Weg zum Kem der
Geschichte sei. Es gibt einen berühmten Ausspruch des alten Momm-
sen zu seinem Schwiegersohn Wilamowitz: 'Die Institutionen können
wir einigermaßen begreifen; den Werdeprozeß hat schon das Altertum
nicht gekannt, und wir werden ihn nicht erraten’; und es gibt einen
berühmten Kommentar von V. Ehrenberg zu diesem Ausspruch:
'Bis zu gewissem Grade mag auch gelten, daß für Mommsen seit
seinen mittleren Jahren die Institutionen wichtiger geworden waren
als die Menschen, das Juristisch-Systematische wichtiger als das
Historisch-Transitorische’156. Der Weg, welcher nach dem Vorbild des
'Römischen Staatsrechts’ verfolgt werden müßte, ist ein ganz anderer
als derjenige einer einfachen, narrativen, pragmatischen und auf
Menschen ausgerichteten Historie; und Mommsens Autorität war
in Deutschland so maßgebend, daß es lange keine Chance für eine
Alternative gab. Zugleich bewirkte die unglaubliche Leistung Momm-
sens auf so vielen Gebieten der Altertumswissenschaft, daß sich die
späteren Gelehrtengenerationen, die diesem Beispiel nicht folgen
konnten, ins Spezialistentum zurückzogen. M. E. hat K Christ diese
Entwicklung richtig beurteilt: 'Nicht zuletzt durch die Intensität
seiner Arbeiten und durch den hohen künstlerischen Rang seiner
Geschichtsschreibung hat er mit am stärksten dazu beigetragen, daß
die Spezialisierung und damit die Verengung triumphierte, daß in
den Generationen nach ihm Quellenforschung, Darstellung und Refle-
156 Zitat und Kommentar bei V. Ehrenberg, a.a.O. (oben Anm. 150), 615; die letzten
Sätze auch bei K. Christ, Von Gibbon zu Rostovtzeff 114.
Die Tradition einer einfachen narrativen Historie - mit hoher wissen-
schaftlicher und literarischer Qualität - war dort immer wirksam,
bis zum heutigen Tag, während wir in Deutschland kaum einen ähn-
lich ununterbrochenen Einfluß der alten erzählenden Geschichts-
schreibung feststellen könnten.
Einer der wichtigsten Gründe für den Wandel in Deutschland ist
ohne jeden Zweifel der überwältigende Einfluß Th. Mommsens -
desselben Mommsen, dessen 'Römische Geschichte’ das Glanzstück
der narrativen Historie in deutscher Sprache ist: Das Buch Momm-
sens aber, dessen Wirkung auf die deutsche Altertumswissenschaft
wirklich ungeheuerlich groß war, ist nicht die 'Römische Geschichte’,
sondern sein späteres großes Werk, das 'Römische Staatsrecht’ - mit
der Theorie der 'Dyarchie’, und vor allem mit dem Eindruck auf
den Leser, daß das Studium der Institutionen, der Verfassungs- und
Rechtsgeschichte, eben des 'Staatsrechts’, der Weg zum Kem der
Geschichte sei. Es gibt einen berühmten Ausspruch des alten Momm-
sen zu seinem Schwiegersohn Wilamowitz: 'Die Institutionen können
wir einigermaßen begreifen; den Werdeprozeß hat schon das Altertum
nicht gekannt, und wir werden ihn nicht erraten’; und es gibt einen
berühmten Kommentar von V. Ehrenberg zu diesem Ausspruch:
'Bis zu gewissem Grade mag auch gelten, daß für Mommsen seit
seinen mittleren Jahren die Institutionen wichtiger geworden waren
als die Menschen, das Juristisch-Systematische wichtiger als das
Historisch-Transitorische’156. Der Weg, welcher nach dem Vorbild des
'Römischen Staatsrechts’ verfolgt werden müßte, ist ein ganz anderer
als derjenige einer einfachen, narrativen, pragmatischen und auf
Menschen ausgerichteten Historie; und Mommsens Autorität war
in Deutschland so maßgebend, daß es lange keine Chance für eine
Alternative gab. Zugleich bewirkte die unglaubliche Leistung Momm-
sens auf so vielen Gebieten der Altertumswissenschaft, daß sich die
späteren Gelehrtengenerationen, die diesem Beispiel nicht folgen
konnten, ins Spezialistentum zurückzogen. M. E. hat K Christ diese
Entwicklung richtig beurteilt: 'Nicht zuletzt durch die Intensität
seiner Arbeiten und durch den hohen künstlerischen Rang seiner
Geschichtsschreibung hat er mit am stärksten dazu beigetragen, daß
die Spezialisierung und damit die Verengung triumphierte, daß in
den Generationen nach ihm Quellenforschung, Darstellung und Refle-
156 Zitat und Kommentar bei V. Ehrenberg, a.a.O. (oben Anm. 150), 615; die letzten
Sätze auch bei K. Christ, Von Gibbon zu Rostovtzeff 114.