Ernst Schulin
von 1857.4 Das Konzept von Burckhardts Vorlesung „Über das Stu-
dium der Geschichte“, die er in drei Wintersemestern 1868/69,1870/71
und 1872/73 hielt, wurde erstmals 1905 in stilistischer Bearbeitung von
Jacob Oeri unter dem Titel „Weltgeschichtliche Betrachtungen“ ver-
öffentlicht. 1982 edierte Peter Ganz das gesamte Handschriften-
material zu dieser Vorlesung.5
Wie diese Übersicht zeigt, stehen neben einem unverminderten,
hartnäckigen Interesse an diesen Grundschriften verschiedenartige
Schwierigkeiten mit der Textherstellung. Die Wirkung der Schriften
war und ist größer als die Sicherheit der Textgrundlage. Ich erwähne
dieses vor allem dem Theologen, Philosophen und klassischen Philo-
logen wohlvertraute Phänomen, das immer wieder zu Neuinterpre-
tationen alter Texte treibt, weil ich damit rechtfertigen möchte, daß ich
eine dieser Grundschriften, die späteste und wohl bekannteste, die so
häufig, gut und geistreich kommentierten Weltgeschichtlichen Be-
trachtungen hier noch einmal zu erläutern versuche, aus Anlaß und auf
Grund der seit vorigem Jahr vorliegenden neuen Edition.
Wenn man schwankt, ob man dieses Werk als eine erste Einführung
in den Bereich des Geschichtlichen aufzufassen hat oder als tiefste
Erkenntnisse eines skeptischen Kulturhistorikers oder gar als spezifi-
sches und später wieder verworfenes Produkt einer Krisenzeit, so hängt
das mit dem Textproblem zusammen. Es handelt sich nicht wie bei
Droysen um die schriftlich genau niedergelegte Vorlesung, sondern
um das Konzept für den freien Vortrag, um die zu Hause gelassene vor-
herige Ausarbeitung. Sie ist kürzer als das, was Burckhardt ohne ein
Stück Papier in der Hand mündlich vortrug; die Sätze sind oft nicht
vollständig, manchmal stichwortartig durch Randnotizen erweitert,
aber, weil das Burckhardt gar nicht anders konnte, meistens so glän-
zend formuliert, daß Oeri mit wenigen Verbindungsgliedern daraus
vollständige Sätze bilden konnte. Das war aber nur eine äußerliche,
vorgetäuschte Vollständigkeit: der Text behielt viel Aphoristisches,
Andeutendes, es finden sich „Dunkelheiten“, „geheimnisvolle Steno-
4 Johann Gustav Droysen, Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodolo-
gie der Geschichte, hg. von Rudolf Hübner, München/Berlin 1937. Johann Gustav
Droysen, Historik. Historisch-kritische Ausgabe von Peter Leyh. 3 Bände vorgese-
hen, bisher Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977.
5 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, hg. von Jakob Oeri, Berlin/
Stuttgart 1905. Jacob Burckhardt, Über das Studium der Geschichte. Der Text der
‘Weltgeschichtlichen Betrachtungen’ auf Grund der Vorarbeiten von Emst Ziegler
nach den Handschriften hg. von Peter Ganz, München 1982.
von 1857.4 Das Konzept von Burckhardts Vorlesung „Über das Stu-
dium der Geschichte“, die er in drei Wintersemestern 1868/69,1870/71
und 1872/73 hielt, wurde erstmals 1905 in stilistischer Bearbeitung von
Jacob Oeri unter dem Titel „Weltgeschichtliche Betrachtungen“ ver-
öffentlicht. 1982 edierte Peter Ganz das gesamte Handschriften-
material zu dieser Vorlesung.5
Wie diese Übersicht zeigt, stehen neben einem unverminderten,
hartnäckigen Interesse an diesen Grundschriften verschiedenartige
Schwierigkeiten mit der Textherstellung. Die Wirkung der Schriften
war und ist größer als die Sicherheit der Textgrundlage. Ich erwähne
dieses vor allem dem Theologen, Philosophen und klassischen Philo-
logen wohlvertraute Phänomen, das immer wieder zu Neuinterpre-
tationen alter Texte treibt, weil ich damit rechtfertigen möchte, daß ich
eine dieser Grundschriften, die späteste und wohl bekannteste, die so
häufig, gut und geistreich kommentierten Weltgeschichtlichen Be-
trachtungen hier noch einmal zu erläutern versuche, aus Anlaß und auf
Grund der seit vorigem Jahr vorliegenden neuen Edition.
Wenn man schwankt, ob man dieses Werk als eine erste Einführung
in den Bereich des Geschichtlichen aufzufassen hat oder als tiefste
Erkenntnisse eines skeptischen Kulturhistorikers oder gar als spezifi-
sches und später wieder verworfenes Produkt einer Krisenzeit, so hängt
das mit dem Textproblem zusammen. Es handelt sich nicht wie bei
Droysen um die schriftlich genau niedergelegte Vorlesung, sondern
um das Konzept für den freien Vortrag, um die zu Hause gelassene vor-
herige Ausarbeitung. Sie ist kürzer als das, was Burckhardt ohne ein
Stück Papier in der Hand mündlich vortrug; die Sätze sind oft nicht
vollständig, manchmal stichwortartig durch Randnotizen erweitert,
aber, weil das Burckhardt gar nicht anders konnte, meistens so glän-
zend formuliert, daß Oeri mit wenigen Verbindungsgliedern daraus
vollständige Sätze bilden konnte. Das war aber nur eine äußerliche,
vorgetäuschte Vollständigkeit: der Text behielt viel Aphoristisches,
Andeutendes, es finden sich „Dunkelheiten“, „geheimnisvolle Steno-
4 Johann Gustav Droysen, Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodolo-
gie der Geschichte, hg. von Rudolf Hübner, München/Berlin 1937. Johann Gustav
Droysen, Historik. Historisch-kritische Ausgabe von Peter Leyh. 3 Bände vorgese-
hen, bisher Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977.
5 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, hg. von Jakob Oeri, Berlin/
Stuttgart 1905. Jacob Burckhardt, Über das Studium der Geschichte. Der Text der
‘Weltgeschichtlichen Betrachtungen’ auf Grund der Vorarbeiten von Emst Ziegler
nach den Handschriften hg. von Peter Ganz, München 1982.