Burckhardts Potenzen- und Sturmlehre
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Bedingtheiten. Das Beziehungsgeflecht ist ihm das Wichtigste, - Kaegi
hat ihn hierin zurecht mit Montesquieu und dessen Lehre von den
Rapports verglichen.24
Wie sähe der allgemeingeschichtliche Längsschnitt
nach der Potenzen- und Sturmlehre aus?
Burckhardt wählt bei der Betrachtung des Beziehungsgeflechtes fol-
gende Reihenfolge: Zuerst untersucht er, wie Staat und Religion die
Kultur bedingen, dann, wie Religion und Kultur den Staat bedingen,
schließlich, wie Staat und Kultur die Religion bedingen. Wie gesagt,
entschloß er sich zu der systematischen Betrachtungsweise, um den
Längsschnitt durch die Geschichte zu vermeiden. Als Grund für die
Wahl gerade dieser Reihenfolge gibt er nun aber merkwürdigerweise
an, es sei „ein mehr chronologisches Verfahren, wobei wenigstens en
bloc das Frühere an den Anfang und das Spätere ans Ende kommt“
(294). Diesem Umstand will er dann zwar kein Gewicht beimessen, ich
halte ihn aber doch für eine Einstiegsmöglichkeit, um nun nicht der
systematischen Betrachtungsweise zu folgen, sondern einmal zu fra-
gen, wie tatsächlich der Längsschnitt der Geschichte nach seinen
Potenzen, Bedingtheiten und Krisen aussehen würde. Daß er eine Vor-
stellung vom Gang der Weltgeschichte hatte, läßt sich aus seinen ande-
ren Vorlesungen ersehen. Insofern ist meine Fragestellung berechtigt.
Ich gehe aber möglichst ohne Blick auf diese anderen, nicht explizit
von den Kategorien der Weltgeschichtlichen Betrachtungen bestimm-
ten Vorlesungen und Werken vor, sondern anhand dieser Kategorien
und mit Hilfe des Beispielmaterials der Weltgeschichtlichen Betrach-
tungen.25 Das ist natürlich nur ein Experiment, und wieweit es sinnvoll
und aussagekräftig ist, kann sich erst nachträglich zeigen. Vielleicht
ermöglicht es eine genauere Antwort darauf, aus welchen Gründen
Burckhardt so nicht vorgegangen ist. Verdeckte der Längsschnitt viel-
leicht historische Einsichten, die für Burckhardt wesentlich waren?
24 Kaegi (wie Anm. 9), Bd. VI. S. 65 u. 98.
25 Insofern unterscheidet sich der folgende Längsschnitt von der Nachzeichnung der
„kritischen Übergänge im Gang der Geschichte“ durch Karl Löwith, Jacob Burck-
hardt, der Mensch inmitten der Geschichte, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966,
S. 199-323 (besonders „Die großen Kausalitäten der Weltgeschichte“, S. 214-254).
Die Potenzenlehre spielt hier kaum eine Rolle.
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Bedingtheiten. Das Beziehungsgeflecht ist ihm das Wichtigste, - Kaegi
hat ihn hierin zurecht mit Montesquieu und dessen Lehre von den
Rapports verglichen.24
Wie sähe der allgemeingeschichtliche Längsschnitt
nach der Potenzen- und Sturmlehre aus?
Burckhardt wählt bei der Betrachtung des Beziehungsgeflechtes fol-
gende Reihenfolge: Zuerst untersucht er, wie Staat und Religion die
Kultur bedingen, dann, wie Religion und Kultur den Staat bedingen,
schließlich, wie Staat und Kultur die Religion bedingen. Wie gesagt,
entschloß er sich zu der systematischen Betrachtungsweise, um den
Längsschnitt durch die Geschichte zu vermeiden. Als Grund für die
Wahl gerade dieser Reihenfolge gibt er nun aber merkwürdigerweise
an, es sei „ein mehr chronologisches Verfahren, wobei wenigstens en
bloc das Frühere an den Anfang und das Spätere ans Ende kommt“
(294). Diesem Umstand will er dann zwar kein Gewicht beimessen, ich
halte ihn aber doch für eine Einstiegsmöglichkeit, um nun nicht der
systematischen Betrachtungsweise zu folgen, sondern einmal zu fra-
gen, wie tatsächlich der Längsschnitt der Geschichte nach seinen
Potenzen, Bedingtheiten und Krisen aussehen würde. Daß er eine Vor-
stellung vom Gang der Weltgeschichte hatte, läßt sich aus seinen ande-
ren Vorlesungen ersehen. Insofern ist meine Fragestellung berechtigt.
Ich gehe aber möglichst ohne Blick auf diese anderen, nicht explizit
von den Kategorien der Weltgeschichtlichen Betrachtungen bestimm-
ten Vorlesungen und Werken vor, sondern anhand dieser Kategorien
und mit Hilfe des Beispielmaterials der Weltgeschichtlichen Betrach-
tungen.25 Das ist natürlich nur ein Experiment, und wieweit es sinnvoll
und aussagekräftig ist, kann sich erst nachträglich zeigen. Vielleicht
ermöglicht es eine genauere Antwort darauf, aus welchen Gründen
Burckhardt so nicht vorgegangen ist. Verdeckte der Längsschnitt viel-
leicht historische Einsichten, die für Burckhardt wesentlich waren?
24 Kaegi (wie Anm. 9), Bd. VI. S. 65 u. 98.
25 Insofern unterscheidet sich der folgende Längsschnitt von der Nachzeichnung der
„kritischen Übergänge im Gang der Geschichte“ durch Karl Löwith, Jacob Burck-
hardt, der Mensch inmitten der Geschichte, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966,
S. 199-323 (besonders „Die großen Kausalitäten der Weltgeschichte“, S. 214-254).
Die Potenzenlehre spielt hier kaum eine Rolle.