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Schulin, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1983, 2. Abhandlung): Burckhardts Potenzen- und Sturmlehre: zu seiner Vorlesung über das Studium der Geschichte (den Weltgeschichtlichen Betrachtungen)$dvorgetragen am 30. April 1983 — Heidelberg: Winter, 1983

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https://doi.org/10.11588/diglit.47810#0014
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Ernst Schulin

rende von der Wandelbarkeit, der Geschichtlichkeit der geistigen
Mächte oder Potenzen gegenüber.
Zweck und Veränderung der genannten Zweiteilung werden deutli-
cher, wenn man sich den ursprünglich vorgesehenen Stoff der Einfuh-
rungsvorlesung ansieht. Burckhardt wollte zunächst in die Geschichte
durch das für ihn Erste und Wichtigste einführen: durch die Anregung,
die geschichtlichen Quellen zu lesen. Eine solche Quellenkunde -
„nicht bloß für den Historiker ex professo“ (83) -, chronologisch von
den Mythen der Urzeit bis zu Machiavelli reichend, war schon seine
frühere Einführungsvorlesung von 1851 gewesen. In einer Zeit der dro-
henden Spezialisierung der Geschichtswissenschaft und der Überlage-
rung der Quellen durch moderne Darstellungen wollte er den Allge-
meingebildeten ad fontes führen. Diesen chronologischen Teil über die
darstellenden Quellen zur allgemeinen Geschichte - so als sei dies
schon (oder allein) ihre geistige Seite - wollte er auch 1868 bringen,
ihm aber einen zweiten Teil anfügen. Da er Hörer verschiedener In-
teressenrichtungen und Berufsziele ansprechen wollte, schien es ihm
sinnvoll, ihnen das Geschichtliche auf den verschiedenen Gebieten, in
Staat, Recht, Kirche, Wissenschaften (sogar Naturwissenschaften) und
Künsten sichtbar zu machen. Hier in diesem zweiten Teil ging er nun
von Quellenhinweisen und kurzen Charakteristiken der jeweiligen
Zeitalter ganz über zu eigenen Betrachtungen: im Längsschnitt führte
er den Wandel von Staat und Recht durch, dann den der Religionen
und wollte in gleicher Weise eigentlich auch bei Philosophie, Wissen,
Poesie und Kunst vorgehen. Hier hielt er aber ein und dachte sich ein
neues Schema aus.
Was er bisher getan hatte, Längsschnitt durch die allgemeine Ge-
schichte anhand der Geschichtsschreibung, Längsschnitt durch den
Wandel des Staates, dann durch den der Religion, hatte ihn eigentlich
in gewisser Weise auf die vorrankesche Betrachtungsweise zurückge-
worfen, beinahe auf die Konzeption von Bossuet in seinem „Discours
sur l’histoire universelle“ von 1681, in dem unverbunden nebenein-
ander „Les epoques ou la suite des temps“, „La suite de la religion“ und
„Les empires“ behandelt worden waren. Burckhardt mußte ein Mittel
gegen dieses Nebeneinander einer Vielzahl von Längsschnitten finden.
Er sah sich nun an, wie das die Geschichtsphilosophen machten: Hegel
mit seinem antizipierten Weltplan des Fortschritts des Geistes im
Bewußtsein seiner Freiheit; Buckle mit seinem Modell eines stufen-
förmigen zivilisatorischen Entwicklungsprozesses; Lasaulx mit seinem
Glauben an einen gottgewollten organologischen Auf- und Abstieg der
 
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