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Schulin, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1983, 2. Abhandlung): Burckhardts Potenzen- und Sturmlehre: zu seiner Vorlesung über das Studium der Geschichte (den Weltgeschichtlichen Betrachtungen)$dvorgetragen am 30. April 1983 — Heidelberg: Winter, 1983

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https://doi.org/10.11588/diglit.47810#0023
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Burckhardts Potenzen- und Sturmlehre

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die Krise der Französischen Revolution und den seitherigen bleiben-
den kritischen Zustand.
Es hat durchaus seinen „chronologischen Sinn“, wenn Burckhardt
nach der Lehre von den Potenzen und den sechs Bedingtheiten seine
„Sturmlehre“, sein Kapitel über die Krisen bringt. Trotz der Völker-
wanderungskrise hat er bei diesem Begriff so zentral an das moderne
Revolutionszeitalter gedacht, daß er sich bei der schriftlichen Vorberei-
tung der Vorlesung geradezu selber zur Ordnung rufen muß, um „nicht
zu sehr an der Französischen Revolution zu kleben“ (207), sondern
vergleichend, typisierend auch die früheren Krisen zu betrachten. Man
könnte noch weiter gehen und sagen, daß sich auch das folgende Kapi-
tel über die großen Individuen, mit dem Burckhardt das erste Mal seine
Vorlesung schloß,26 chronologisch anfugt: denn hier war natürlich stark
von Napoleon die Rede. Das darf aber nicht verdecken, daß die Krise
über Napoleon hinausdauert. Erst nach 1815 wird die Potenz Kultur
wirklich beherrschend: Sie „nimmt“ den Staat „soweit als möglich in
ihren Dienst“ (300), durch die bestimmenden Interessen von Erwerb,
freien Verkehr, Industrie ohne Zoll- und Zunftschranken, durch
Öffentlichkeit, Presse und verfassungspolitische Diskussion, durch
Verschiebung der Grenzen zwischen den Aufgaben von Staat und
Gesellschaft (323f.).
Stärker als sonst wird hier faßbar, was Burckhardts weiter geistig-
materieller Kulturbegriff in der historischen Durchführung leistete. Es
waren die für ihn unangenehmen Seiten der Kultur, die er nun herr-
schen sah, und die ihm angenehmen wurden dabei sogar gefährdet, -
trotzdem nennt er beides „Kultur“. Ähnlich wie bei der Religion seit
dem 4. Jahrhundert widerspricht es dabei eigentlich dem spezifischen
Charakter der Potenz Kultur, herrschend zu sein; sie verändert sich
dadurch. Anders oder jedenfalls weit weniger als die Religion seit dem
4. Jahrhundert ist die Kultur auch gar nicht wirklich herrschend und
kann den Staat gar nicht ganz unter Kuratel nehmen. Burckhardt be-
tont immer wieder die dem Absolutismus gefährlich ähnlichen Staats-
vorstellungen der revolutionären, liberalen und republikanischen
Theoretiker. Der moderne Zentralstaat bleibt. Durch die Massenherr-
schaft drohen weitere Krisen. Und besonders nach 1870, also zur Zeit
der beiden Wiederholungen seiner Vorlesung, ist für ihn in der Krise
26 Die beiden nächsten Male (1870/71 und 1872/73) schloß er schon mit dem Krisen-
kapitel, also niemals mit dem uns bekannten Schlußkapitel der Weltgeschichtlichen
Betrachtungen, mit „Glück und Unglück in der Weltgeschichte“. Ganz (wie Anm. 5),
S. 45ff., bes. S. 51.
 
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