Burckhardts Potenzen- und Sturmlehre
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Geschichte mit ihrem „Schutt der äußeren Tatsachen“ im Zentrum.
Das gilt auch für die Geschichte des Revolutionszeitalters. Burckhardt
betont zwar, daß die Revolution vorwiegend durch die literarische
Bewegung entstanden sei, er geht auch auf die Aufklärungsphilo-
sophen und daneben kulturgeschichtlich bezeichnenderweise speziell
auf Italien ein, aber im übrigen stellt er Politik, Revolution und Krieg
dar, ordentlich nach der Zeitabfolge.30
Was läßt sich aus dieser widerspruchsvollen Darstellungsweise
entnehmen, zu der man ja noch die gleichzeitige, ebenso intensive
Beschäftigung mit der gesamten Kunstgeschichte bis zum Barock hin-
zunehmen müßte? Bei der unterschiedlichen Behandlung von Alter-
tum und Mittelalter gegenüber der Neuzeit kann vielleicht die auffal-
lende Parallele zu Emst Troeltsch weiterhelfen, der später (und unab-
hängig von Burckhardt) die Meinung vertrat, erst für die Geschichte
der Neuzeit benötige der heutige Bildungsmensch politische, wirt-
schaftliche und soziale Gesichtspunkte, bei der Zeit davor genügten die
geistesgeschichtlichen.31 Bei Burckhardt sind das aber, bei aller mögli-
chen Verwandtschaft, nur mehr Gradunterschiede. Das, was er unter
Kulturgeschichte verstand, darf man, wie schon erwähnt, nicht mit der
Potenz Kultur ineins setzen. Es ist vielleicht mißverständlich, wenn
man bei dieser Potenz von einem „engeren“ Kulturbegriff als in dem
früheren Buch über die Kultur der Renaissance spricht, da er ja wirt-
schaftlich und gesellschaftlich sogar erweitert erscheint,32 aber Burck-
hardt kommt hier tatsächlich - wenn man die Potenz für sich nimmt -
30 Ziegler (wie Anm. 9), S. 45 über die „geistige Bewegung, die die Revolution vor-
bereitete“; S. 75-81 die selbständige italienische Aufklärung und Kunst im 18. Jahr-
hundert; S. 235f.: die Revolution entstand „vorwiegend durch literarische Bewe-
gung“, entband aber mehr die materiellen als die (schon vorher freieren) geistigen
Kräfte. Vgl. auch meine Rezension über den V. Band von Kaegis Burckhardt-
Biographie u.d.T.: Jacob Burckhardts Geschichte der Neuzeit, in: Historisch-politi-
sches Buch, Jg. 22, 1974, S. 97f.
31 Emst Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme, in seinen: Gesammelten
Schriften Bd 3, Tübingen 1922, S. 770.
32 Kaegi (wie Anm. 9), Bd. VI, S. 105 tut das, ebenso Hardtwig (wie Anm. 16), S. 167ff.,
der allerdings Begriffsschwankungen auch noch innerhalb der Weltgeschichtlichen
Betrachtungen festzustellen versucht, was mir nicht überzeugend erscheint. S. 176
erkennt er, daß der Begriff „Gesellschaft“ in der Kultur der Renaissance und in der
Griechischen Kulturgeschichte eingeschränkt soviel wie „höhere Gesellschaft“ be-
deutet, in den Weltgeschichtlichen Betrachtungen und in den Vorlesungen zum
Revolutionszeitalter hingegen das „Totum menschlichen Zusammenlebens“. Ent-
sprechend scheint es mir beim Kulturbegriff zu sein.
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Geschichte mit ihrem „Schutt der äußeren Tatsachen“ im Zentrum.
Das gilt auch für die Geschichte des Revolutionszeitalters. Burckhardt
betont zwar, daß die Revolution vorwiegend durch die literarische
Bewegung entstanden sei, er geht auch auf die Aufklärungsphilo-
sophen und daneben kulturgeschichtlich bezeichnenderweise speziell
auf Italien ein, aber im übrigen stellt er Politik, Revolution und Krieg
dar, ordentlich nach der Zeitabfolge.30
Was läßt sich aus dieser widerspruchsvollen Darstellungsweise
entnehmen, zu der man ja noch die gleichzeitige, ebenso intensive
Beschäftigung mit der gesamten Kunstgeschichte bis zum Barock hin-
zunehmen müßte? Bei der unterschiedlichen Behandlung von Alter-
tum und Mittelalter gegenüber der Neuzeit kann vielleicht die auffal-
lende Parallele zu Emst Troeltsch weiterhelfen, der später (und unab-
hängig von Burckhardt) die Meinung vertrat, erst für die Geschichte
der Neuzeit benötige der heutige Bildungsmensch politische, wirt-
schaftliche und soziale Gesichtspunkte, bei der Zeit davor genügten die
geistesgeschichtlichen.31 Bei Burckhardt sind das aber, bei aller mögli-
chen Verwandtschaft, nur mehr Gradunterschiede. Das, was er unter
Kulturgeschichte verstand, darf man, wie schon erwähnt, nicht mit der
Potenz Kultur ineins setzen. Es ist vielleicht mißverständlich, wenn
man bei dieser Potenz von einem „engeren“ Kulturbegriff als in dem
früheren Buch über die Kultur der Renaissance spricht, da er ja wirt-
schaftlich und gesellschaftlich sogar erweitert erscheint,32 aber Burck-
hardt kommt hier tatsächlich - wenn man die Potenz für sich nimmt -
30 Ziegler (wie Anm. 9), S. 45 über die „geistige Bewegung, die die Revolution vor-
bereitete“; S. 75-81 die selbständige italienische Aufklärung und Kunst im 18. Jahr-
hundert; S. 235f.: die Revolution entstand „vorwiegend durch literarische Bewe-
gung“, entband aber mehr die materiellen als die (schon vorher freieren) geistigen
Kräfte. Vgl. auch meine Rezension über den V. Band von Kaegis Burckhardt-
Biographie u.d.T.: Jacob Burckhardts Geschichte der Neuzeit, in: Historisch-politi-
sches Buch, Jg. 22, 1974, S. 97f.
31 Emst Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme, in seinen: Gesammelten
Schriften Bd 3, Tübingen 1922, S. 770.
32 Kaegi (wie Anm. 9), Bd. VI, S. 105 tut das, ebenso Hardtwig (wie Anm. 16), S. 167ff.,
der allerdings Begriffsschwankungen auch noch innerhalb der Weltgeschichtlichen
Betrachtungen festzustellen versucht, was mir nicht überzeugend erscheint. S. 176
erkennt er, daß der Begriff „Gesellschaft“ in der Kultur der Renaissance und in der
Griechischen Kulturgeschichte eingeschränkt soviel wie „höhere Gesellschaft“ be-
deutet, in den Weltgeschichtlichen Betrachtungen und in den Vorlesungen zum
Revolutionszeitalter hingegen das „Totum menschlichen Zusammenlebens“. Ent-
sprechend scheint es mir beim Kulturbegriff zu sein.