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Walter Burkert
Dagegen siegte die Abwehr in dem für Graezisten so viel näherliegenden Pro-
blem der Phöniker als der altvertrauten Vermittler zwischen Orient und Hellas:
Julius Beloch, eigenwillig und genial, dabei eindeutig antisemitisch motiviert, hat
die These durchgesetzt, die Bedeutung der Phöniker im frühen Griechenland
konvergiere gegen Null, der phönikische Herakles von Thasos sei nicht weniger
Phantasie als der mythische Phöniker Kadmos15. Dafür trat Altkleinasien in den
Blick, wo alsbald mit den Hethitern Indogermanen auftreten sollten. Gegen 'Semi-
tisches’ war ein Wall errichtet.
Daß allerdings zwischen der geometrischen und der archaischen Epoche der
griechischen Kunst ein Einbruch des Orientalischen’ liegt, faßbar in importierten
Objekten, neuen Techniken und Darstellungsmotiven, ist spätestens 1912 durch
Frederik Poulsen systematisch ins Bewußtsein gerückt worden16. Selbst Fach-
archäologen freilich scheinen über diese Tatsache nicht glücklich zu sein, ja war-
nen vor dem Umgang mit dem Begriff der 'orientalisierenden’ Epoche17. Das
Fremde wird auch hier zemiert: kaum je findet man in den älteren Standard-
werken orientalische und griechische Gegenstücke nebeneinander abgebildet;
viele der orientalischen Funde in den großen griechischen Heiligtümern wurden
und werden nur zögernd bearbeitet und veröffentlicht. Daß Olympia der be-
deutendste Fundort für orientalische Bronzen ist, hierin reicher als alle nahöst-
lichen Ausgrabungsstätten, macht man sich selten klar.
Es war ja gerade die Epoche zwischen den beiden Weltkriegen, die mit neuem
hermeneutischem Bewußtsein die immanente Konzentration auf die je beson-
dere Eigenform vorantrieb. Die Archäologie gewann ein neues Verständnis für den
archaischen, sie entdeckte erst den geometrischen Stil, Philologen suchten die
'innere Form’; ein Historiker wie Helmut Berve wollte der Universalgeschichte
zugunsten des Hellenentums entsagen (Anm. 14). Die Zusammenarbeit von Franz
Boll mit Carl Bezold blieb ein persönlicher Glücksfall im abseitigen Spezialbereich
der Astrologie18; eine Spezialität, die sich allgemeiner Kenntnisnahme entzog,
15 Die Phoeniker am aegaeischen Meer, RhM 49 (1894) 111-32; Griechische Geschichte I
(1893) 75f.; 167f.; I 22 (1913) 65-76; vgl. zu Beiochs Leistungen und Idiosynkrasien
A. Momigliano, Terzo Contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico
(1966) 239-269; K. Christ, Von Gibbon zu Rostovtzeff (1979) 248-285. Zur modernen
Korrektur an Beiochs Phoeniker-These vgl. Niemeyer (1982), dort bes. Coldstream. - Kraft
Beiochs Argumentation wurde Berard (1902/3) in Deutschland kaum zur Kenntnis ge-
nommen. Auch F. C. Movers, Die Phönizier (1841/56), Lewy (1895), Brown (1898)
waren Außenseiter geblieben.
16 Hogarth (1909) hat sich auf Ionien konzentriert. Poulsen (1912) behandelt auch Homer
(168-83). Vgl. Müller (1929); Barnett (1956); Akurgal (1966/8); Strom (1971); -* I 2.
1 Schefold (1967) 19: „Es ist also eine nicht sehr glückliche Gewohnheit, die Kunst des
7. Jahrhunderts 'orientalisierend’ zu nennen...“
18 Gemeinsame Publikationen: Reflexe astrologischer Keilinschriften bei griechischen Schrift-
stellern, Sitzungsber. Heidelberg 1911, 7; Zenit- und Aequatorialgestime am babyloni-
Walter Burkert
Dagegen siegte die Abwehr in dem für Graezisten so viel näherliegenden Pro-
blem der Phöniker als der altvertrauten Vermittler zwischen Orient und Hellas:
Julius Beloch, eigenwillig und genial, dabei eindeutig antisemitisch motiviert, hat
die These durchgesetzt, die Bedeutung der Phöniker im frühen Griechenland
konvergiere gegen Null, der phönikische Herakles von Thasos sei nicht weniger
Phantasie als der mythische Phöniker Kadmos15. Dafür trat Altkleinasien in den
Blick, wo alsbald mit den Hethitern Indogermanen auftreten sollten. Gegen 'Semi-
tisches’ war ein Wall errichtet.
Daß allerdings zwischen der geometrischen und der archaischen Epoche der
griechischen Kunst ein Einbruch des Orientalischen’ liegt, faßbar in importierten
Objekten, neuen Techniken und Darstellungsmotiven, ist spätestens 1912 durch
Frederik Poulsen systematisch ins Bewußtsein gerückt worden16. Selbst Fach-
archäologen freilich scheinen über diese Tatsache nicht glücklich zu sein, ja war-
nen vor dem Umgang mit dem Begriff der 'orientalisierenden’ Epoche17. Das
Fremde wird auch hier zemiert: kaum je findet man in den älteren Standard-
werken orientalische und griechische Gegenstücke nebeneinander abgebildet;
viele der orientalischen Funde in den großen griechischen Heiligtümern wurden
und werden nur zögernd bearbeitet und veröffentlicht. Daß Olympia der be-
deutendste Fundort für orientalische Bronzen ist, hierin reicher als alle nahöst-
lichen Ausgrabungsstätten, macht man sich selten klar.
Es war ja gerade die Epoche zwischen den beiden Weltkriegen, die mit neuem
hermeneutischem Bewußtsein die immanente Konzentration auf die je beson-
dere Eigenform vorantrieb. Die Archäologie gewann ein neues Verständnis für den
archaischen, sie entdeckte erst den geometrischen Stil, Philologen suchten die
'innere Form’; ein Historiker wie Helmut Berve wollte der Universalgeschichte
zugunsten des Hellenentums entsagen (Anm. 14). Die Zusammenarbeit von Franz
Boll mit Carl Bezold blieb ein persönlicher Glücksfall im abseitigen Spezialbereich
der Astrologie18; eine Spezialität, die sich allgemeiner Kenntnisnahme entzog,
15 Die Phoeniker am aegaeischen Meer, RhM 49 (1894) 111-32; Griechische Geschichte I
(1893) 75f.; 167f.; I 22 (1913) 65-76; vgl. zu Beiochs Leistungen und Idiosynkrasien
A. Momigliano, Terzo Contributo alla storia degli studi classici e del mondo antico
(1966) 239-269; K. Christ, Von Gibbon zu Rostovtzeff (1979) 248-285. Zur modernen
Korrektur an Beiochs Phoeniker-These vgl. Niemeyer (1982), dort bes. Coldstream. - Kraft
Beiochs Argumentation wurde Berard (1902/3) in Deutschland kaum zur Kenntnis ge-
nommen. Auch F. C. Movers, Die Phönizier (1841/56), Lewy (1895), Brown (1898)
waren Außenseiter geblieben.
16 Hogarth (1909) hat sich auf Ionien konzentriert. Poulsen (1912) behandelt auch Homer
(168-83). Vgl. Müller (1929); Barnett (1956); Akurgal (1966/8); Strom (1971); -* I 2.
1 Schefold (1967) 19: „Es ist also eine nicht sehr glückliche Gewohnheit, die Kunst des
7. Jahrhunderts 'orientalisierend’ zu nennen...“
18 Gemeinsame Publikationen: Reflexe astrologischer Keilinschriften bei griechischen Schrift-
stellern, Sitzungsber. Heidelberg 1911, 7; Zenit- und Aequatorialgestime am babyloni-