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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0041
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Die orientalisierende Epoche

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wie auf Kreta Zeugnisse griechischer Schrift aus dem 8. Jh. Schließlich kann die
griechische Schrift auch in Syrien entwickelt worden sein: soeben ist endlich ein
griechisches Graffito aus Al Mina bekannt geworden, auf einer um 700 datierten
attischen Scherbe10. Das früher viel gebrauchte Argument jedenfalls, daß die große
Verschiedenheit lokaler griechischer Alphabete eine dange Entwicklung’ voraus-
setze, ist von Lilian Jeffery bündig widerlegt worden11. Die 'Entwicklung’ oder
vielmehr Vermittlung, einschließlich der Vermittlungsfehler und gewisser Ergän-
zungen, erfolgte überaus rasch innerhalb weniger Jahrzehnte, wenn nicht Jahre,
einschließlich der Weitergabe an die Phryger einerseits, die Etrusker andererseits.
Gelegentlich wird trotzdem noch von semitistischer Seite für ein wesentlich
höheres Alter des griechischen Alphabets plädiert12. Einige Details der Buch-
stabenformen werden als Argumente angeführt. Doch sind die Funde phönikisch-
aramäischer Inschriften aus Nordsyrien noch immer zu lückenhaft als daß eine
sichere Abfolge von Buchstabenformen sich erstellen ließe; zudem ist nicht von
den monumentalen Formen der Steininschriften, sondern von kursiven Formen
auszugehen13. Von griechischer Seite her ist das argumentum ex silentio für die
Zeit vor ca. 770 nachgerade erdrückend: in der noch ständig wachsenden Menge
älterer Keramik, die sich wohl klassifizieren und datieren läßt, ist immer noch
nichts gefunden worden, was nach einem griechischen Buchstaben aussieht, wäh-
rend von 750 an die Zeugnissen der Graffiti rasch dichter werden. Hier scheint
sich eine Explosion zu ereignen; die Epoche zuvor bleibt stumm. Griechische
Schrift im 9. Jh. scheint demnach nach dem Stand der Dinge so gut wie ausge-
schlossen zu sein. Der Ort der Übernahme bleibt vorläufig offen, zumal die grie-
chische Bezeichnung des 'Phönikischen’ keineswegs besagt, daß Phöniker im enge-
ren Sinn, Einwohner von Byblos, Sidon, Tyros und nicht etwa Aramäer Nord-
syriens die Lehrmeister gewesen sein müßten.
Für die Art, in der die Übertragung erfolgte, gibt es ein unschätzbares, wenn
auch oft übersehenes Dokument: die griechischen Buchstabennamen alpha, beta,
gamma etc. mit ihrer unveränderlichen Reihenfolge. Dies sind bekanntlich semi-
tische, im Griechischen sinnlose Wörter, die nichtsdestoweniger erhalten blieben,
weil eben der Schreib- und Leseunterricht immer mit dem Auswendiglernen
dieser Reihe begann. Dies erklärt zunächst, warum die standardisierte Reihenfolge
in zwei völlig verschiedenen semitischen Konsonantenschriften auftreten konnte,
im ugaritischen Keilschriftalphabet wie im 'phönikischen’, das jetzt immerhin
auch bereits im 12. Jh. bezeugt ist14. In gleicher Weise ist dann sogar über die
10 J. Boardman, An Inscribed Sherd from Al Mina, Oxford Journal of Archaeology 1 (1982)
365-7.
11 Jeffery (1961) 13-16.
12 J. Naveh AJA 77 (1973) 1-8; id. (1979); id. Early History of the Alphabet (1982);
dagegen McCarter (1975); A. Demsky, Tel Aviv 4 (1977) 22f.
13 Johnstone (1978); Coldstream (1982) 271.
14 -* 1 1, 3. Ugaritische Alphabete: KTU 5.6.
 
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