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Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

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https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0073
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Die orientalisierende Epoche

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In der Schrift 'Von der Heiligen Krankheit’ klingt das so: „Die Reinigungsreste
verbergen sie teils in der Erde, teils werfen sie sie ins Meer, teils tragen sie sie
in die Berge, wo niemand sie berühren noch darauftreten wird“34. Daß einer mit
dem Fuß auf unreines Wasser getreten ist, gilt wiederum in Mesopotamien als
mögliche Ursache des Leidens, ebenso wie noch in der römischen Kaiserzeit35 36.
Übrigens wird auch im Rahmen der römischen Devotion das Ersatzbild dort ver-
graben, „wo kein römischer Beamter hintreten darf’30.
Noch ein besonders auffallendes Detail: Epimenides, der berühmteste Reini-
gungspriester, erhielt von den Nymphen eine Wundemahrung, die ihn ohne ge-
wöhnliches Essen auskommen ließ, ein αλιμον. Er bewahrte es in einem Kuh-
huf auf - anscheinend hätten gewöhnliche Behälter es nicht zu fassen ver-
mocht -’7. Ein akkadischer Beschwörungstext schreibt vor38: „Eine Rinderklaue
sollst du mit Wasser füllen, Bitterkommehl hineinwerfen, mit einer Binse vor dem
Sonnengott schlagen, ausgießen: die Toten werden femgehalten werden“. Der
Effekt ist anders, doch das Rezept offenbar verwandt. In einem Mauleselhuf
wurde, nach dem Alexanderroman, das Gift des Antipatros transportiert, an dem
Alexander der Große starb, in Babylon39.
Der Skeptiker kann immer noch den direkten Kulturkontakt bezweifeln und
auf Spontanparallelen insistieren. Doch gerade mit dem Namen Epimenides
kommt der historische Horizont der orientalisierenden Epoche ins Spiel. Es ist
gerade das archaische Kreta, das in der griechischen Überlieferung als Heimat
des kathartischen Wissens gilt. Epimenides ist mit den Kulthöhlen Kretas verbun-
den, einer Höhle des Zeus, wo er in einem Jahrzehnte dauernden Schlaf seine
Initiation erfuhr; als Initiant wiederum erscheint Epimenides gerade für die Zeus-
höhle am Ida40. Falls der historische Epimenides je diese Höhle aufsuchte,
stand er jenem assyrisierenden Tympanon gegenüber, das wahrscheinlich orien-
talische Handwerker für den Zeuskult gefertigt haben41. Noch vor Epimenides
34 VI 362 Littre. - Man kennt auch Entfernung der Pest durch Vögel, Arist. Fr. 496 -
Paus. Att. φ 5 Erbse, wie bei Aussatz AT Lev. 14, 4-7; 49-53.
35 Thompson II (1904) 138f. ina me la isarüti sepsu istakan. - Petron Sat. 134, 1 quod
purgamentum in nocte calcasti in trivio...
36 Liv. 8, 10, 12 ubi illud signum defossum erit, eo magistratum Romanum escendere fas non
esse.
37 Diog. Laert. 1, 114 = FGrHist 457 T 1.
38 Ebeling (1931) 150 Nr. 30 F 35f.
39 Historia Alexandri Magni 2, 31, 3 Kroll; Testamentum Alexandri, R. Merkelbach, Die
Quellen des griechischen Alexanderromans (19772) 254. Vgl. Paus. 8, 18, 6: Styx-Wasser
kann nur in einem Pferdehuf aufbewahrt werden.
411 Diog. Laert. 8, 3; Epimenides FGrHist 457 F 18 nennt die Ida-Höhle im Zusammenhang
des Zeusmythos. - Grottanelli (1982b) 659 assoziiert den Namen von Epimenides’ Mutter,
Βάλτη, mit Ba’alat.
41 - I 2, 13.
 
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