Metadaten

Burkert, Walter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1984, 1. Abhandlung): Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982 — Heidelberg: Winter, 1984

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47812#0120
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
110

Walter Burkert

erstaunlich, doch eindrücklich ist, wie der Segen des Landes unter Herrschaft
des guten Königs ganz ähnlich bei Homer und Hesiod und direkt in der Selbst-
darstellung des Assurbanipal erscheint: Seit die Götter „mich wohlwollend auf dem
Thron des Vaters, meines Erzeugers hatten Platz nehmen lassen, ließ Adad seine
Regengüsse los, öffnete Ea seine Quellen, wurde das Getreide 5 Ellen in seinen
Ähren hoch ... gedieh die Feldfrucht... brachten die Obstpflanzungen die Frucht
zu üppiger Entfaltung, hatte das Vieh im Gebären Gelingen. Während meiner
Regierungszeit triefte die Fülle, während meiner Jahre wurde Überfluß aufge-
häuft“. Αρετώσι δέ λαοϊ ύπ’ αύτοΰ23.
Dies führt vom Stilistischen wieder zum Inhaltlichen. Hier sei innegehalten.
Was die stilistischen Elemente anlangt, läßt sich kein Beweis einer direkten 'Ab-
hängigkeit’ führen; jedenfalls geht es, im Gegensatz zu dem, was zum 'Be-
rückungsdichter’, zum Kyprienanfang, zur Thebais zu sagen war, hier nicht an,
von einem 'jungen’, zusätzlichen Element in der altepischen Dichtung zu sprechen,
das erst in einem letzten Stadium die ältere Tradition überformt hätte. Völlig
getrennte Entwicklung und rein zufällige Parallelität zu konstatieren ist ebenso
wenig empfohlen, handelt es sich doch um räumlich und zeitlich miteinander
verbundene Entwicklungen. Die Einrichtung einer ersten Rhapsoden-Bibliothek,
d.h. einer schriftlichen Ilias, und die Bibliothek Assurbanipals könnten fast gleich-
zeitig sein, wobei bis fast zur Mitte des 7. Jh. dem Orient die kulturelle Füh-
rung verblieben ist. Man muß wohl, auf dem Hintergrund sowohl des allgemein
Menschlichen wie auch besonderer paralleler 'feudaler’ Entwicklungen, mit mehr-
fachen Berührungen rechnen, wobei auch Bronzezeitliches durch spätere Kon-
takte wieder aktualisiert werden konnte. Daß neben dem alten, assimilierten
Lehnwort für Löwe, λέων, das deutlich semitisch-palästinensiche λΐς25 26 im homeri-
schen Vergleich auftaucht, kann vielleicht als symptomatisch gelten. Jedenfalls
sind die orientalischen Befunde als naheliegendes Vergleichsmaterial für die Inter-
pretation der homerischen Dichtung heranzuziehen - was auch davor warnt,
allzu einsträngig und einseitig auf 'indogermanische’ Heldendichtung abzustellen.
6. Die Fabel
Die Tierfabel ist seit dem Ende der Aufklärung der Verachtung anheimge-
fallen; und doch ist sie eines der eigentümlichsten und durchsetzungskräftigsten
Genres der volkstümlichen Literatur1. Man könnte geneigt sein, sie von vorn-
25 Od. 19, 107-14; Hes. Op. 225-47 - Streck (1916) II 6f.; vgl. West (1978) 213; Walcot
(1967) 72f.; Jeffery (1976) 39.
26 - 1 4, 30.
1 Vgl. allgemein W. Wienert, Die Typen der griechisch-römischen Fabel (1925); K. Meuli,
Herkunft und Wesen der Fabel (1954) = Ges. Schriften II (1975) 731-56; Μ. Nojgaard,
La fable antique I (1964); Rodriguez Adrados (1979); T. Karadagli, Fabel und Ainos
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften