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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0029
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Glauben und Verstehen

19

III. Theologie als Wissenschaft - Vorbegriff
1. Gemeinsamkeiten mit den Wissenschaften
Die Theologie geht nach Bultmann mit allen anderen Wissenschaf-
ten darin zusammen, daß sie Wissen fördern will. Als Wissen fördernde
Wissenschaft setzt sie, wie jede andere Wissenschaft auch, immer
schon ein Wissen und einen Gegenstand des Wissens voraus. Dieses
vorausgesetzte Wissen ist, wie bereits dargelegt, mit dem Lebensver-
hältnis des Menschen zu den sein Leben bestimmenden Gegenstän-
den schon immer gegeben. Bultmann nennt dieses Wissen im Zusam-
menhang der Problematik des Verstehens von Texten das „Vorver-
ständnis der Sache“, das wiederum im „Lebensverhältnis des Interpreten
zu der.Sac/ze" begründet ist, „die im Text - direkt oder indirekt - zu Worte
kommt“29. Die Förderung des als Vorverständnis immer schon im
Lebensvollzug präsenten Wissens hat die Aufgabe, den Gegenstand
des Wissens sachgemäß zu erkennen und dadurch zugleich das bis-
herige Selbstverständnis des im Wissen der Sache immer auch um sich
selbst wissenden Menschen in Frage zu stellen und dadurch zu för-
dern. Daß Bultmann die Förderung des menschlichen Selbstverständ-
nisses als die eigentliche Aufgabe aller Wissenschaften, also auch der
Mathematik und der Naturwissenschaften ansieht, mag befremden,
macht aber immerhin darauf aufmerksam, daß die sich von dieser Auf-
gabe emanzipierenden Wissenschaften möglicherweise gerade durch
die Verneinung dieser Aufgabe das menschliche Selbstverständnis
radikaler in Frage stellen könnten als durch ihre Bejahung - dies frei-
lich, ohne dadurch das menschliche Selbstverständnis zu fördern.
Die Theologie geht weiterhin insofern mit allen anderen Wissen-
schaften zusammen, als sie das im Lebensverhältnis zur Sache präsente
Wissen dadurch fördert, daß sie es in Sätze befördert, wobei unter
Sätzen (etwa mit Heinrich Scholz) solche Aussagen verstanden werden

39 R. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik. 1950, in: Glauben und Verstehen.
Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, 51968, 211-235, 216f.
 
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