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Eberhard Jüngel
eigenen Tun qualifizierten Vergangenheit, sondern aus der durch Got-
tes Wort qualifizierten Zukunft zu verstehen. Die Wahrheit des Augen-
blicks wird verfehlt, wenn er „verstanden wird als das, was ich mache,
was durch mein Wollen und Fühlen, meine Vergangenheit seine Quali-
fikation erhält. Der Glaube versteht in geradem Gegensatz dazu das
Jetzt aus der Zukunft, d.h.... als den Augenblick, der durch das gött-
liche Wort qualifiziert ist..., das ich nur hören, dem ich nur gehorchen
kann“192.
Hörend ist der Mensch aber das genaue Gegenteil dessen, der sich in
seinen Werken selber verwirklicht. Als sich selbst verwirklichender
lebt der Mensch aus seiner Vergangenheit, während das den Menschen
auf ihn selbst anredende Kerygma „von der Vergangenheit als solcher,
also ... auch von aller künftigen Vergangenheit“ befreit und sich damit
als Wort der „Vergebung“ erweist193. Als Hörer des Wortes versteht
sich der Mensch in einer Weise neu, wie ihm das, wenn er sich aus sei-
nen Werken versteht, niemals möglich ist.
Es wird nun deutlich, warum Bultmann den nur aufgrund von
Offenbarung möglichen und deshalb unableitbaren und stets besonde-
ren existentiellen Akt des Glaubens mit dem die menschliche Existenz
überhaupt kennzeichnenden Existential des Verstehens bzw. Sich-Ver-
stehens nicht nur in eine Reihe bringen, sondern geradezu identifizie-
ren kann und muß. Er kann es deshalb, weil das Ereignis des Sich-Ver-
stehens nicht nur ein kognitiver, sondern ein Wirklichkeit setzender,
ein über die eigene Existenz entscheidender Vorgang ist und weil der
Glaube im Horizont einer allgemeinen Daseinsanalytik als ein - frei-
lich sehr besonderer - Fall unter dieses Existential fällt. Er muß es, weil
für die christliche Theologie allein der Glaube das wahre Selbstver-
ständnis ist und als solcher die dem Wesen des Menschen entspre-
chende Existenz „verwirklicht“.
5. Der Mensch als Wesen der Möglichkeit
Die Identifikation des Glaubens mit dem wahren Verstehen seiner
selbst leuchtet freilich nur dann ein, wenn man mit Bultmann das
Wesen des Menschen, sein „eigentliches Dasein“, als „ein Seinkönnen“
bestimmt194, also gegen den in der aristotelischen Tradition behaupte-
192 AaO. 202f.
193 AaO. 141.
194 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 199.
Eberhard Jüngel
eigenen Tun qualifizierten Vergangenheit, sondern aus der durch Got-
tes Wort qualifizierten Zukunft zu verstehen. Die Wahrheit des Augen-
blicks wird verfehlt, wenn er „verstanden wird als das, was ich mache,
was durch mein Wollen und Fühlen, meine Vergangenheit seine Quali-
fikation erhält. Der Glaube versteht in geradem Gegensatz dazu das
Jetzt aus der Zukunft, d.h.... als den Augenblick, der durch das gött-
liche Wort qualifiziert ist..., das ich nur hören, dem ich nur gehorchen
kann“192.
Hörend ist der Mensch aber das genaue Gegenteil dessen, der sich in
seinen Werken selber verwirklicht. Als sich selbst verwirklichender
lebt der Mensch aus seiner Vergangenheit, während das den Menschen
auf ihn selbst anredende Kerygma „von der Vergangenheit als solcher,
also ... auch von aller künftigen Vergangenheit“ befreit und sich damit
als Wort der „Vergebung“ erweist193. Als Hörer des Wortes versteht
sich der Mensch in einer Weise neu, wie ihm das, wenn er sich aus sei-
nen Werken versteht, niemals möglich ist.
Es wird nun deutlich, warum Bultmann den nur aufgrund von
Offenbarung möglichen und deshalb unableitbaren und stets besonde-
ren existentiellen Akt des Glaubens mit dem die menschliche Existenz
überhaupt kennzeichnenden Existential des Verstehens bzw. Sich-Ver-
stehens nicht nur in eine Reihe bringen, sondern geradezu identifizie-
ren kann und muß. Er kann es deshalb, weil das Ereignis des Sich-Ver-
stehens nicht nur ein kognitiver, sondern ein Wirklichkeit setzender,
ein über die eigene Existenz entscheidender Vorgang ist und weil der
Glaube im Horizont einer allgemeinen Daseinsanalytik als ein - frei-
lich sehr besonderer - Fall unter dieses Existential fällt. Er muß es, weil
für die christliche Theologie allein der Glaube das wahre Selbstver-
ständnis ist und als solcher die dem Wesen des Menschen entspre-
chende Existenz „verwirklicht“.
5. Der Mensch als Wesen der Möglichkeit
Die Identifikation des Glaubens mit dem wahren Verstehen seiner
selbst leuchtet freilich nur dann ein, wenn man mit Bultmann das
Wesen des Menschen, sein „eigentliches Dasein“, als „ein Seinkönnen“
bestimmt194, also gegen den in der aristotelischen Tradition behaupte-
192 AaO. 202f.
193 AaO. 141.
194 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 199.