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Jüngel, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 1. Abhandlung): Glauben und Verstehen: zum Theologiebegriff Rudolf Bultmanns; vorgetragen am 20. Okt. 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47815#0081
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Glauben und Verstehen

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unsere Geschichte qualifiziert ist“249. Daß Bultmann einer Gott und
Welt identifizierenden Rede von Gott wehren will, muß also nicht zu
dem Verzicht darauf führen, Gottes Zur-Welt-Kommen als Geschichte
seines Advents zu erzählen. Läßt sich doch erst aufgrund der konkreten
Nähe von Gott und Welt in der Geschichte seines Zur-Welt-Kommens
auch konkret - und das heißt streng - zwischen Gott und Welt unter-
scheiden. Die erzählende und als erzählende über den „Ruf zur Ent-
scheidung“ hinaustragende Sprache muß nicht als „objektivierende“
Rede verdächtigt werden. Sie bringt vielmehr, und zwar auch außer-
halb der theologischen Perspektive, zum Zuge, daß der Mensch auch
und gerade als sich selbst Verstehender „in Geschichten verstrickt“ ist.
„Wo gesprochen wird, sind es in Geschichten Verstrickte, die spre-
chen“250. Das gilt nicht weniger von denen, die, indem sie das christ-
liche Kerygma ausrichten, von Gott sprechen. Der Mensch, der den in
diesem Kerygma zur Sprache kommenden Gott und so sich selbst ver-
stehen will, wird deshalb immer auf zu erzählende Geschichte verwie-
sen. Wer Gott verstehen will, muß auf erzählte Geschichte hören und
sich selber im Erzählen des Gehörten versuchen. Er kann dabei, aber er
muß nicht notwendigerweise in jene Gestalt „objektivierender“ Rede
verfallen, die die menschlichen Vorstellungen von Gott mit Gott selbst
verwechselt. Wenn die Theologie das nicht im Umgang mit ihren eige-
nen Texten lernt, dann wird es allerdings auch wenig helfen, ihr mit
Martin Heidegger zu bedenken zu geben, daß „das Sagen der Sprache
... nicht notwendig ein Aussprechen von Sätzen üb er Objekte“ ist. „Sie
ist in ihrem Eigensten ein Sagen von dem, was sich dem Menschen in
mannigfaltiger Weise offenbart und zuspricht, sofern er sich nicht,
durch die Herrschaft des objektivierenden Denkens auf dieses sich
beschränkend, dem, was sich zeigt, verschließt“251.
3. Die Konzentration des Sich-selbst-Verstehens auf das Verstehen
des Augenblicks als eines Augenblicks der Entscheidung erweckt theo-
logisch nicht zuletzt deshalb Bedenken, weil sie Gefahr läuft, den indi-
kativischen Charakter der christlichen Verkündigung zugunsten des
appellativen Moments zu vernachlässigen. So sehr Bultmann mit sei-
nem Insistieren auf dem Anredecharakter des Kerygmas und auf dem
249 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 165.
250 W Schapp, Philosophie der Geschichten, 1959, 271. VgL ders.: In Geschichten ver-
strickt. Zum Sein von Mensch und Ding, 1953.
251 M. Heidegger, Phänomenologie und Theologie, in: Wegmarken, Gesamtausgabe 9,
1976, 45-78, 76.
 
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