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Eberhard Jüngel
Scholz, er „denke ... nicht daran, von einer evangelischen Theologie,
die der Mühe wert sein soll, zu verlangen [!], daß sie als Wissenschaft
muß auftreten können“256. Bultmanns nach seinem eigenen Verständ-
nis „phänomenologischer“ Wissenschaftsbegriff257 hat ihn gar nicht
erst auf den Gedanken kommen lassen, so zu fragen. Ist Wissenschaft
„nur ein unter besondere Absicht gestelltes Verhalten des Daseins
überhaupt“ und insofern „ein Stück des Lebens selbst“258, dann ist
nicht einzusehen, warum nicht auch das gläubige Dasein das ihm
implizite Wissen wissenschaftlich explizieren können soll.
Immerhin, Bultmanns sparsame Äußerungen zur Wissenschaftlich-
keit der Theologie und sehr viel mehr sein eigenes wissenschaftliches
Arbeiten lassen erkennen, daß er die von Scholz aufgestellten unum-
strittenen Mindestforderungen an irgendeine Wissenschaft - es sind
dies: das Satzpostulat, das Kohärenzpostulat und das Kontrollierbar-
keitspostulat - durchaus teilt. Auch für Bultmann muß die Theologie
dem Satzpostulat genügen, so daß in ihr „außer Fragen und Definitio-
nen nur Sätze auftreten“, „für welche das Wahrsein behauptet wird“259
und die deshalb untereinander dem Axiom vom ausgeschlossenen
Widerspruch genügen müssen260. Auch für ihn hat die Theologie dem
Kohärenzpostulat zu genügen, dem gemäß zu verlangen ist, „daß die
Sätze einer Wissenschaft als Aussagen über die Gegenstände eines
bestimmt vorgegebenen [sc. als einheitlich vorgegebenen] Bereiches
256 H. Scholz, Wie ist eine evangelische Theologie als Wissenschaft möglich?, ZZ 9,
1931, 8-53; neu abgedruckt in: Theologie als Wissenschaft. Aufsätze und Thesen,
hg. u. eingel. von G. Sauter, ThB 43, 1971, 221-264, 261.
257 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 199: „Echte Wissenschaft hätte also phä-
nomenologisch in dem Sinne zu verfahren, daß sie das Phänomen selbst zur Gel-
tung kommen und sich von ihm die Betrachtungsweise vorschreiben läßt“. Vgl.: Brief
an Erich Foerster [1928], hg. von W. Schmithals (Ein Brief Rudolf Bultmanns an
Erich Foerster), in: Rudolf Bultmanns Werk und Wirkung, hg. von B. Jaspert, 1984,
70-80, 71.
258 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 43.
259 H. Scholz, aaO. 231.
260 Es lohnt sich anzumerken, daß Scholz die Widerspruchsfreiheit auch für „den herrli-
chen großen Satz“ Pascals unterstellt: „Das Herz hat seine Grunde, die die Vernunft
nicht kennt“ (B. Pascal, Pensees 477 [277], CEuvres Completes, hg. von J. Chevalier,
1954, 1221: «Le coeur a ses raisons, que la raison ne connait point»). Denn „wenn
unter diesen Gründen die jeweiligen Ausgangssätze, Axiome oder Maximen ver-
standen werden, aus denen der Mensch mit dem Pusca/’schen 'Herzen’... schließt“,
dann kann auch für die Folge von Sätzen, die aus diesen Ausgangssätzen und allen
aus ihnen gefolgerten Sätzen besteht, mitnichten ein Widerspruch zulässig sein. -
H. Scholz, aaO. 253f.
Eberhard Jüngel
Scholz, er „denke ... nicht daran, von einer evangelischen Theologie,
die der Mühe wert sein soll, zu verlangen [!], daß sie als Wissenschaft
muß auftreten können“256. Bultmanns nach seinem eigenen Verständ-
nis „phänomenologischer“ Wissenschaftsbegriff257 hat ihn gar nicht
erst auf den Gedanken kommen lassen, so zu fragen. Ist Wissenschaft
„nur ein unter besondere Absicht gestelltes Verhalten des Daseins
überhaupt“ und insofern „ein Stück des Lebens selbst“258, dann ist
nicht einzusehen, warum nicht auch das gläubige Dasein das ihm
implizite Wissen wissenschaftlich explizieren können soll.
Immerhin, Bultmanns sparsame Äußerungen zur Wissenschaftlich-
keit der Theologie und sehr viel mehr sein eigenes wissenschaftliches
Arbeiten lassen erkennen, daß er die von Scholz aufgestellten unum-
strittenen Mindestforderungen an irgendeine Wissenschaft - es sind
dies: das Satzpostulat, das Kohärenzpostulat und das Kontrollierbar-
keitspostulat - durchaus teilt. Auch für Bultmann muß die Theologie
dem Satzpostulat genügen, so daß in ihr „außer Fragen und Definitio-
nen nur Sätze auftreten“, „für welche das Wahrsein behauptet wird“259
und die deshalb untereinander dem Axiom vom ausgeschlossenen
Widerspruch genügen müssen260. Auch für ihn hat die Theologie dem
Kohärenzpostulat zu genügen, dem gemäß zu verlangen ist, „daß die
Sätze einer Wissenschaft als Aussagen über die Gegenstände eines
bestimmt vorgegebenen [sc. als einheitlich vorgegebenen] Bereiches
256 H. Scholz, Wie ist eine evangelische Theologie als Wissenschaft möglich?, ZZ 9,
1931, 8-53; neu abgedruckt in: Theologie als Wissenschaft. Aufsätze und Thesen,
hg. u. eingel. von G. Sauter, ThB 43, 1971, 221-264, 261.
257 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 199: „Echte Wissenschaft hätte also phä-
nomenologisch in dem Sinne zu verfahren, daß sie das Phänomen selbst zur Gel-
tung kommen und sich von ihm die Betrachtungsweise vorschreiben läßt“. Vgl.: Brief
an Erich Foerster [1928], hg. von W. Schmithals (Ein Brief Rudolf Bultmanns an
Erich Foerster), in: Rudolf Bultmanns Werk und Wirkung, hg. von B. Jaspert, 1984,
70-80, 71.
258 R. Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 43.
259 H. Scholz, aaO. 231.
260 Es lohnt sich anzumerken, daß Scholz die Widerspruchsfreiheit auch für „den herrli-
chen großen Satz“ Pascals unterstellt: „Das Herz hat seine Grunde, die die Vernunft
nicht kennt“ (B. Pascal, Pensees 477 [277], CEuvres Completes, hg. von J. Chevalier,
1954, 1221: «Le coeur a ses raisons, que la raison ne connait point»). Denn „wenn
unter diesen Gründen die jeweiligen Ausgangssätze, Axiome oder Maximen ver-
standen werden, aus denen der Mensch mit dem Pusca/’schen 'Herzen’... schließt“,
dann kann auch für die Folge von Sätzen, die aus diesen Ausgangssätzen und allen
aus ihnen gefolgerten Sätzen besteht, mitnichten ein Widerspruch zulässig sein. -
H. Scholz, aaO. 253f.