Glauben und Verstehen
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Daß der Wahrheitsanspruch des Kerygmas eines Beweises weder
fähig noch bedürftig ist, hängt mit der Eigenart des theologischen Wis-
sens als eines dem Glauben ursprünglich eigenen und von der Theolo-
gie nur auszubildenden Wissens zusammen. Dieses Wissen hat inso-
fern praktischen Charakter, als sein Gegenstand als Glaubensgegen-
stand (fides quae creditur) allererst aufgrund seines Gewußtwerdens
Existenz gewinnt. Bultmann hat deshalb dem theologischen Wissen
immer wieder den Status eines theoretischen Wissens abgesprochen.
Doch an genau diesem Punkt sind Rückfragen zu stellen.
Denn so sehr es einerseits einleuchtet, daß die das neue Selbstver-
ständnis konstituierende Erkenntnis Gottes „kein Distanz nehmendes
theoretisches Erkennen, sondern ein sich Bestimmenlassen durch das
Erkannte“ ist265, so sehr muß doch andererseits gerade der Glaube
daran interessiert sein, Gott selbst und sein Wort nicht erst als ein mit
dem Wissen von ihm gegebenen Gegenstand zu kennen. Gerade der
Glaube muß darauf bestehen, daß Gott ein j^/rdas ihm implizite Wis-
sen gegebener Gegenstand ist, so daß das Glaubenswissen erst auf-
grund seines Gegenstandes entsteht266.
er kann aus sich selbst heraus in das Nichts hineingesetzt oder hineingehalten
sein, so daß ihm angst und bange werden muß. Und dennoch muß er erkennen,
daß es zum Menschsein des Menschen gehört, außerhalb seiner selbst, extra se zu
sein. Und insofern ist der theologische Satz, daß Gott in Jesus Christus und durch
den heiligen Geist den Menschen aus sich herausruft („Ich habe Dich bei Deinem
Namen gerufen, Du bist mein“), auch für denjenigen noch in einen sinnvollen Satz
transformierbar, dem Gott, Jesus Christus und heiliger Geist Hekuba sind - was zu
verhindern oder zu beenden allerdings gerade die Aufgabe christlicher Rede von
Gott ist. Denn das Wissen, mit dem es die Theologie zu tun hat, ist immer auch prak-
tisches Wissen. Und eben diese seine praktische Perspektive fiele aus, wenn man die
theologischen Behauptungen nur als Hypothesen und also nur als Sätze theoreti-
schen Wissens liest. Daß man sie so lesen kann, besagt in keiner Weise, daß man sie
so lesen soll.
265 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, hg. von O. Merk, 81980, 431.
266 Theoretisches Wissen ist auch unter den Bedingungen seiner neuzeitlichen Ver-
faßtheit - also auch unter der Voraussetzung, daß dieses Wissen nicht ohne eine sich
selbst entwerfende Vernunfttätigkeit und mit dem Ziel des Praktisch-Werdens ent-
steht - ein Wissen, dessen Gegenstand seine Existenz nicht der Tatsache verdankt,
daß er erkannt und gewußt wird. Theoretisches Wissen ist also dadurch charakteri-
siert, daß sein Gegenstand für dieses Wissen gegeben ist. Praktisches Wissen ist hin-
gegen dasjenige Wissen, dessen Gegenstand allererst aufgrund seines Gewußtwer-
dens Existenz gewinnt. Praktisches Wissen ist also dadurch charakterisiert, daß sein
Gegenstand mit diesem Wissen gegeben ist. - Vgl. J. Fischer, Handeln als Grundbe-
griff christlicher Ethik. Zur Differenz von Ethik und Moral, ThSt 127, 1983, 16f.
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Daß der Wahrheitsanspruch des Kerygmas eines Beweises weder
fähig noch bedürftig ist, hängt mit der Eigenart des theologischen Wis-
sens als eines dem Glauben ursprünglich eigenen und von der Theolo-
gie nur auszubildenden Wissens zusammen. Dieses Wissen hat inso-
fern praktischen Charakter, als sein Gegenstand als Glaubensgegen-
stand (fides quae creditur) allererst aufgrund seines Gewußtwerdens
Existenz gewinnt. Bultmann hat deshalb dem theologischen Wissen
immer wieder den Status eines theoretischen Wissens abgesprochen.
Doch an genau diesem Punkt sind Rückfragen zu stellen.
Denn so sehr es einerseits einleuchtet, daß die das neue Selbstver-
ständnis konstituierende Erkenntnis Gottes „kein Distanz nehmendes
theoretisches Erkennen, sondern ein sich Bestimmenlassen durch das
Erkannte“ ist265, so sehr muß doch andererseits gerade der Glaube
daran interessiert sein, Gott selbst und sein Wort nicht erst als ein mit
dem Wissen von ihm gegebenen Gegenstand zu kennen. Gerade der
Glaube muß darauf bestehen, daß Gott ein j^/rdas ihm implizite Wis-
sen gegebener Gegenstand ist, so daß das Glaubenswissen erst auf-
grund seines Gegenstandes entsteht266.
er kann aus sich selbst heraus in das Nichts hineingesetzt oder hineingehalten
sein, so daß ihm angst und bange werden muß. Und dennoch muß er erkennen,
daß es zum Menschsein des Menschen gehört, außerhalb seiner selbst, extra se zu
sein. Und insofern ist der theologische Satz, daß Gott in Jesus Christus und durch
den heiligen Geist den Menschen aus sich herausruft („Ich habe Dich bei Deinem
Namen gerufen, Du bist mein“), auch für denjenigen noch in einen sinnvollen Satz
transformierbar, dem Gott, Jesus Christus und heiliger Geist Hekuba sind - was zu
verhindern oder zu beenden allerdings gerade die Aufgabe christlicher Rede von
Gott ist. Denn das Wissen, mit dem es die Theologie zu tun hat, ist immer auch prak-
tisches Wissen. Und eben diese seine praktische Perspektive fiele aus, wenn man die
theologischen Behauptungen nur als Hypothesen und also nur als Sätze theoreti-
schen Wissens liest. Daß man sie so lesen kann, besagt in keiner Weise, daß man sie
so lesen soll.
265 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, hg. von O. Merk, 81980, 431.
266 Theoretisches Wissen ist auch unter den Bedingungen seiner neuzeitlichen Ver-
faßtheit - also auch unter der Voraussetzung, daß dieses Wissen nicht ohne eine sich
selbst entwerfende Vernunfttätigkeit und mit dem Ziel des Praktisch-Werdens ent-
steht - ein Wissen, dessen Gegenstand seine Existenz nicht der Tatsache verdankt,
daß er erkannt und gewußt wird. Theoretisches Wissen ist also dadurch charakteri-
siert, daß sein Gegenstand für dieses Wissen gegeben ist. Praktisches Wissen ist hin-
gegen dasjenige Wissen, dessen Gegenstand allererst aufgrund seines Gewußtwer-
dens Existenz gewinnt. Praktisches Wissen ist also dadurch charakterisiert, daß sein
Gegenstand mit diesem Wissen gegeben ist. - Vgl. J. Fischer, Handeln als Grundbe-
griff christlicher Ethik. Zur Differenz von Ethik und Moral, ThSt 127, 1983, 16f.