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Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0038
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Gottfried Seebass

die mit bedecktem aber als die heilige Anna44, die Mutter der Maria,
zu deuten, zumal die Annenverehrung in Sachsen besonders verbrei-
tet war. Hinter beiden erscheint eine gekrönte und eine mit Diadem
geschmückte Frauengestalt sowie weitere, die offenbar, ähnlich wie die
Männergruppen, die verschiedenen Stände in der ecclesia triumphans,
aber nicht nur ‘Heilige’ im spätmittelalterlichen Sinn des Wortes reprä-
sentieren.
Die Anordnung der beiden Gruppen erklärt sich wohl daraus, daß
die auf Kreuzigungsbildern unter dem Kreuz stehenden Gestalten von
Maria und Johannes nicht mehr als klagend, sondern als fürbittend
verstanden wurden und in dieser interzessorischen Funktion dann
auch auf Bildern von Christus als dem Weltenrichter oder neben dem
Gnadenstuhl rechts und links kniend erscheinen.45 Dabei ist es freilich
nicht selten Johannes der Täufer, der mit Maria vor dem Richter
erscheint. In Cranachs Werk gibt es Beispiele für beide Darstellungen:
Maria und Johannes der Täufer finden sich im Hintergrund der Alle-
gorie, die man gewöhnlich als ‘Gesetz und Evangelium’ (Abb. 2)
bezeichnet46, und schon viel früher in dem von Vogel mit guten Grün-
den vor 1518 angesetzten Tafelgemälde des ‘Sterbenden’ (Abb. 24).47
Dieses ist - betrachtet man insbesondere den oberen Teil, also den
Abschnitt oberhalb des Sterbenden - in einer unserem Holzschnitt
durchaus ähnlichen Weise angelegt: ein Gnadenstuhl mit der Taube,
wie üblich zwischen Gottvater und Schmerzensmann, sowie rechts
und links die Gruppen von Frauen bzw. Männern. Bei der ersteren ist
Maria, mit Krone, neben Anna deutlich zu identifizieren, an der Spitze
der Gruppe der Männer kniet Johannes der Täufer, direkt hinter ihm
sind Petrus und Paulus zu erkennen. Wenn Cranach auf unserem
Holzschnitt Johannes den Täufer nicht mehr abbildet, so tilgt er damit
das interzessorische Moment und nimmt der Darstellung den direkten
Hinweis auf die Gerichtssituation, die beim Sterbenden ohnehin viel
näher liegt. Der Gebetsgestus bei beiden Gruppen neben dem Trini-
44 Zum Typ der Heiligen Anna vgl. Lechner, Art. Anna, in: LCI 5, Sp. 171.
45 Vgl. die Nachweise bei Koepplin, Art. Interzession, in: LCI 2, Sp. 350f.
46 Vgl. Martin Luther und die Reformation in Deutschland, S. 399, Nr. 538 und
Koepplin/Falk, Cranach 2, S. 505-510. Vgl. auch die Zeichnung des Gerichts ebd.
S. 459f, Nr. 306.
47 Vgl. Vogel, Zur Cranachforschung, bes. S. 220; vgl. auch Koepplin/Falk, Cranach 2,
S. 466, Nr. 308, die aber auf die von Vogel vorgenommene Frühdatierung (1513)
nicht eingehen. Bei Vogel, a.a.O., S. 223 ein weiteres Beispiel aus Cranachs Werk
für Christus, den Richter, mit Maria und Johannes dem Täufer.
 
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