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Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0048
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Gottfried Seebass

Man darf daraus wohl schließen, daß das Itinerarium mentis in Deum
mit seinen sieben Kapiteln zwar den Anstoß zur Bezeichnung, nicht
aber das Programm lieferte.
Ohne damit bestreiten zu wollen, daß es eine konkrete literarische,
mir freilich unbekannt gebliebene Quelle für die hier genannten
sieben gradus geben könnte - immerhin läßt sich die Behandlung des
Motivs der Leiter durch alle Jahrhunderte hindurch verfolgen70 - fuh-
ren möglicherweise einige Notizen zur ikonographischen Tradition
weiter. Denn mit den hier genannten Stufen, die ja eigentlich Verhal-
tensweisen oder Tugenden des Menschen meinen, stoßen wir auf die
Darstellungen der Tugend- oder Vollkommenheitsleitern. Deren Tra-
dition wurzelt in den Illuminierungen zu der bekannten Schrift des
Johannes Climacus über den Aufstieg zu Gott.7' Von da ausgehend
finden sich Tugendleitern mit je nach Zählung der Tugenden unter-
schiedlicher Sprossenzahl im Hortus deliciarum der Herrad von
Landsberg, in der Scala coeli des Honorius Augustodunensis, im Spe-
culum virginum und bei Hildegard von Bingen. Und dabei wird all-
mählich aus einer Leiter für die Vollkommenen unter den Christen,
nämlich die Mönche und Nonnen - auch in der Regula Benedicti gibt
es eine Interpretation der Jakobsleiter als scala humilitatis - eine Leiter,
auf der alle Christen zum Himmel steigen müssen.72 Doch darf man
deswegen dabei nicht ohne weiteres an Tugenden denken, die jedem
menschlichen Wollen oder Bemühen möglich sind. Vielmehr könnte
ein Teil der hier genannten ‘virtutes’ durchaus christologisch in der
Passions- und Nachfolgefrömmigkeit des späten Mittelalters verwur-
zelt sein. Hoffmann hat darauf aufmerksam gemacht, daß es in dem
Ulmer Erbauungsbuch „Gaistliche Usslegong des Lebe[n]s Jesu
Christi“ aus dem vorletzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts eine Illu-
stration zu der allegorisch auf das Kreuz Christi gedeuteten Palme aus
Cant 7,8 (Dixi: Ascendam in palmam et apprehendam fructus eius)
gibt: Christus in der Palme sitzend, an der die arma Christi, seine
Marterwerkzeuge, hängen und daran gelehnt die Leiter, die Passions-
leiter, verbunden mit der Aufforderung: Steige auf die Palme des Kreu-
70 Vgl. den instruktiven Artikel des Dictionnaire de Spiritualite - Bertaud/Rayez, Art.
Echelle Spirituelle, in: DSp 4,1, Sp. 62-86 auf den ich von Herrn Kollegen Jürgen
Miethke, Heidelberg, hingewiesen wurde.
71 Vgl. Martin, Heavenly Ladder, passim.
72 Vgl. zu dieser Tradition Eriksson, L’Echelle de la perfection, bes. S. 442-446 u. Bal-
thasar, Ordensregeln, S. 201-207.
 
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