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Seebaß, Gottfried; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 4. Abhandlung): Die Himmelsleiter des hl. Bonaventura von Lukas Cranach d. Ä.: zur Reformation e. Holzschnitts ; vorgetragen am 15. Dezember 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47818#0056
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Gottfried Seebass

„Kumpt alle zu mir/ die jr mit Sünden seid beladen/ Ich wil euch durch
meinen Son laben“. Wenn hier im Unterschied zu der ‘irdischen
Angst’ im vorreformatorischen Holzschnitt die Sünde als Last des
Menschen genannt wird, so vollzieht sich darin eine Konzentration auf
das Gottesverhältnis des Menschen und seine Schuld. Daß man statt
auf‘himmlische Speise und Freude’ auf den Sohn weist, der die Men-
schen laben soll, kann eine Anspielung auf Christus als das ‘lebendige
Wasser’ (Joh 4,10) und das ‘Brot des Lebens’ (Joh 6,48) sein, bezieht
sich aber hier wohl auf das Abendmahl. Gleichzeitig entspricht die
Ersetzung der ‘himmlischen Speise und Freude’ durch die Person
Christi der reformatorischen Christozentrik, verhindert aber auch eine
objektivierende oder spiritualisierende Auslegung der auf den Spros-
. sen der Leiter genannten Sakramente. Gottes Gabe an die Menschen
ist keine andere als der Sohn, Jesus von Nazareth.
Der Hinweis auf Christus prägt auch die Veränderungen an den
Gebetsworten, die von den beiden Menschengruppen zum Himmel
aufsteigen. Auf der Seite der Männer wird das Gebet mit Ps 118,168
ersetzt durch den Zuversicht ausdrückenden Satz aus 1 Joh 1,7: „Das
blut Jhesu Christi reinigt vns von allen Sünden.“ Dabei kann offenblei-
ben, ob der fehlende Raum auf dem Schriftband die Stellenangabe ver-
hinderte oder die Absicht, die beiden Gebetsworte gleich zu gestalten.
Jedenfalls zeigt das von der Frauengruppe ausgehende Band keinen
Bibeltext, sondern die Bitte: „Hilft* vns Gott durch Christufm].“
Schließlich verändert die christologische Neugestaltung des Blattes
auch das Verständnis der Überschrift. Deren vorreformatorische Fas-
sung war selbstverständlich nicht mehr zu verwenden, da sie vom Auf-
stieg der Menschen sprach. Nun überschrieb man den Holzschnitt:
„Das himlische Letterlein S. Bonauentura.“ ‘Himmlisch’ ist diese
Leiter nämlich nun nicht mehr, weil sie zum Himmel führt, sondern
weil sie im wahrsten Sinn des Wortes himmlisch ist, aus dem Himmel,
der Welt Gottes, kommt. Und der Name Bonaventuras konnte nun
auch mit größerem Recht beibehalten werden; ist doch seine Theo-
logie durchgehend von Christus als dem Zentralthema der Schrift
geprägt. Luther selbst hatte wiederholt seiner Hochschätzung des
Doctor Seraphicus Ausdruck gegeben, der nicht durch seine Fröm-
migkeit, sondern durch den Glauben an Christus habe selig werden
wollen.84

84

VgL Schwarz, Bonaventura und Luther, bes. S. 44, 49 u. 52.
 
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