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Hans Robert Jauss
Fazit sich im Anschluß an die Apollinaire-Interpretation für die
Abscheidung des bislang geltenden und die Formierung eines neuen
Weltverständnisses ziehen läßt.
Daß 1912 ein „annus mirabilis“ für die deutsche Dichtung gewesen
ist, das nicht allein den Aufbruch der expressionistischen Bewegung,
sondern auch krisenhafte Wendungen im Werk von Dichtern mit sich
brachte, die dieser avantgardistischen Revolution fern standen, hat
Michael Hamburger in einem immer noch lesenswerten Essay
gezeigt49. Der deutsche Expressionismus antwortete nicht allein auf
die Provokation von Marinettis Futuristischem Manifest (1911 in Der
Sturm übersetzt); die Lyrik von Jakob von Hoddis, Alfred Lichtenstein,
Georg Heym, Emst Stadler, August Stramm hat auch in dem engli-
schen Imagist Manifeste) von 1913 auffällige Entsprechungen. Anderer-
seits begannen im Jahre 1912 Rilke seine Duineser Elegien, Kafka sein
Romanfragment Amerika, beides Versuche, die durch eine Schaffens-
krise zu einer neuen Konzeption ihrer Dichtung führten. Das inter-
nationale Echo des italienischen Futurismus bezeugt 1912 die erste
Pariser Ausstellung, auf die Apollinaires L’antitradition futuriste
(1913) folgte. In Rußland veröffentlicht Chlebnikov Die Ohrfeige für
den öffentlichen Geschmack, das Manifest der russischen Avantgarde,
die als Kubofüturismus ihre eigene Synthese aus einer produktiven
Rezeption der westeuropäischen Bewegungen proklamierte; Andrej
Belyis Petersburg, 1913 im Erstdruck erschienen, kann als die russische
Version der neuen Ästhetik des Simultanen angesehen werden, in die
als Innovation das Prinzip der Intertextualität eingebracht ist50. In der
Musikgeschichte fällt die fundamentale Zäsur zwischen der klassi-
schen Harmonielehre und der Zwölftonmusik (J. M. Hauer, A. Schön-
berg) - der spezifische Schritt zur Musik der Moderne - in die Epo-
chenwende um 1912. Im selben Jahr sind auch Kandinskys erste
gegenstandslose Gemälde bekannt geworden und erschien seine
Theorie von der Großen Abstraktion und der Großen Realistik, den bei-
den für die künftige Malerei konstitutiven Erfahrungspolen der äußer-
sten Verdinglichung des Gegenstandslosen oder des Gegenständ-
49 1912, in: Reason and Energy - Studies in German Literature, London 1957, S. 213—
236.
50 S. dazu W. Weststeijn: D. V. Chlebnikov and the Development ofPoetical Language in:
Russian Symbolism and Futurism, Amsterdam 1983, und R. Lachmann: „Inter-
textualität als Sinnkonstitution. Andrej Belyjs Petersburg und die ‘fremden’ Texte“,
in: Poetica 15 (1983), S. 66-107.
Hans Robert Jauss
Fazit sich im Anschluß an die Apollinaire-Interpretation für die
Abscheidung des bislang geltenden und die Formierung eines neuen
Weltverständnisses ziehen läßt.
Daß 1912 ein „annus mirabilis“ für die deutsche Dichtung gewesen
ist, das nicht allein den Aufbruch der expressionistischen Bewegung,
sondern auch krisenhafte Wendungen im Werk von Dichtern mit sich
brachte, die dieser avantgardistischen Revolution fern standen, hat
Michael Hamburger in einem immer noch lesenswerten Essay
gezeigt49. Der deutsche Expressionismus antwortete nicht allein auf
die Provokation von Marinettis Futuristischem Manifest (1911 in Der
Sturm übersetzt); die Lyrik von Jakob von Hoddis, Alfred Lichtenstein,
Georg Heym, Emst Stadler, August Stramm hat auch in dem engli-
schen Imagist Manifeste) von 1913 auffällige Entsprechungen. Anderer-
seits begannen im Jahre 1912 Rilke seine Duineser Elegien, Kafka sein
Romanfragment Amerika, beides Versuche, die durch eine Schaffens-
krise zu einer neuen Konzeption ihrer Dichtung führten. Das inter-
nationale Echo des italienischen Futurismus bezeugt 1912 die erste
Pariser Ausstellung, auf die Apollinaires L’antitradition futuriste
(1913) folgte. In Rußland veröffentlicht Chlebnikov Die Ohrfeige für
den öffentlichen Geschmack, das Manifest der russischen Avantgarde,
die als Kubofüturismus ihre eigene Synthese aus einer produktiven
Rezeption der westeuropäischen Bewegungen proklamierte; Andrej
Belyis Petersburg, 1913 im Erstdruck erschienen, kann als die russische
Version der neuen Ästhetik des Simultanen angesehen werden, in die
als Innovation das Prinzip der Intertextualität eingebracht ist50. In der
Musikgeschichte fällt die fundamentale Zäsur zwischen der klassi-
schen Harmonielehre und der Zwölftonmusik (J. M. Hauer, A. Schön-
berg) - der spezifische Schritt zur Musik der Moderne - in die Epo-
chenwende um 1912. Im selben Jahr sind auch Kandinskys erste
gegenstandslose Gemälde bekannt geworden und erschien seine
Theorie von der Großen Abstraktion und der Großen Realistik, den bei-
den für die künftige Malerei konstitutiven Erfahrungspolen der äußer-
sten Verdinglichung des Gegenstandslosen oder des Gegenständ-
49 1912, in: Reason and Energy - Studies in German Literature, London 1957, S. 213—
236.
50 S. dazu W. Weststeijn: D. V. Chlebnikov and the Development ofPoetical Language in:
Russian Symbolism and Futurism, Amsterdam 1983, und R. Lachmann: „Inter-
textualität als Sinnkonstitution. Andrej Belyjs Petersburg und die ‘fremden’ Texte“,
in: Poetica 15 (1983), S. 66-107.