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Die Diskussion um die Frage, ob es in der griechischen Literatur eine distinkte,
theoretisch erfaßbare Gattung der Biographie mit eigenen Kompositionsgesetzen
gegeben habe, ist in jüngster Zeit im Anschluß an die Arbeit A. Momiglianos (The
Development of Greek Biography, Cambridge Mass. 1971, ital. Fassung Torino
1974) wieder aufgelebt und auch auf den römischen Bereich ausgedehnt worden
(H. Gugel, Studien zur biographischen Technik Suetons, Wien 1977; A. Wallace-
Hadrill, Suetonius, London 1983, 50ff). Mit gutem Recht warnt der jüngste Bei-
trag (B. Gentili / G. Cerri, Storia e biografia nel pensiero antico, Roma/Bari 1983)
wiederholt vor der voreiligen Annahme rigider Gattungsgesetze für die antike Bio-
graphie. Das gilt vor allem im Hinblick auf den Umstand, daß wir von der biographi-
schen Literatur des Hellenismus so gut wie nichts besitzen, aber aus erhaltenen
Nachrichten und Fragmenten auf eine große Mannigfaltigkeit der Formen schlie-
ßen können, in denen sich biographisches Interesse Ausdruck verschaffte. Dieser
Eindruck bestätigt sich an den erhaltenen biographischen Texten aus der Kaiser-
zeit. Man wird die Papyrustexte, die Italo Gallo in den beiden bisher erschienenen
Bänden veröffentlicht hat, sicherlich nicht alle ein- und derselben literarischen Gat-
tung zuweisen (Frammenti biografici da papiri, Roma 1975/1980). Ferner sei an die
biographischen Elemente in der Historiographie seit Herodot, vor allem aber seit
dem 4. Jh. v. C. (Theopomp, Duris u. a.) erinnert, an die verschiedenen Formen
enkomiastischer Dichtung und Prosa, an die Memoirenliteratur, sowie an die reiche
anekdotisch-apophthegmatische Überlieferung, die voll ist von biographischen Ele-
menten. Das hat vor allem F. Wehrli gezeigt (Mus. Helv. 30,1973,193 ff). Schließ-
lich ist die bis ins 5., vielleicht sogar bis ins 6. Jh. v. C. zurückreichende biogra-
phische Legendenbildung um Gestalten wie Homer oder Aesop zu erwähnen (dazu
neuerdings Μ. L. West, Entr. Hardt 30, 1983, 121 ff), sowie an die Tradition der
hellenistischen Dichterbiographie, in der nicht nur gelehrtes Interesse seinen mehr
oder weniger formlosen Ausdruck fand, sondern die oft, auch darin der Dichtung
selbst vergleichbar, der Phantasie des Lesepublikums genügen sollte. Darauf hat
u.a. Mary Lefkowitz hingewiesen (s.u. S. 17).
Armida Lamedica (Stud. It. Fil. CI. III 3, 1985, 55ff) hat jüngst mit Scharfsinn
und Gelehrsamkeit den Versuch unternommen, anhand der Oxyrhynchos-Papyri
1800 und 2438 differenzierter, auch hinsichtlich seiner Vorstufen, zu erfassen, was
Friedrich Leo unter dem Begriff der alexandrinischen Grammatikerbiographie sub-
sumierte. Der Versuch hat vieles geklärt, insbesondere das Verhältnis der Schriften
vom Typus περί του δείνα zu den sog. γένη oder βίοι der Dichter und Schriftsteller,
die man ihren Ausgaben voranstellte. Die dabei gewonnene oder präzisierte Klassi-
Die Diskussion um die Frage, ob es in der griechischen Literatur eine distinkte,
theoretisch erfaßbare Gattung der Biographie mit eigenen Kompositionsgesetzen
gegeben habe, ist in jüngster Zeit im Anschluß an die Arbeit A. Momiglianos (The
Development of Greek Biography, Cambridge Mass. 1971, ital. Fassung Torino
1974) wieder aufgelebt und auch auf den römischen Bereich ausgedehnt worden
(H. Gugel, Studien zur biographischen Technik Suetons, Wien 1977; A. Wallace-
Hadrill, Suetonius, London 1983, 50ff). Mit gutem Recht warnt der jüngste Bei-
trag (B. Gentili / G. Cerri, Storia e biografia nel pensiero antico, Roma/Bari 1983)
wiederholt vor der voreiligen Annahme rigider Gattungsgesetze für die antike Bio-
graphie. Das gilt vor allem im Hinblick auf den Umstand, daß wir von der biographi-
schen Literatur des Hellenismus so gut wie nichts besitzen, aber aus erhaltenen
Nachrichten und Fragmenten auf eine große Mannigfaltigkeit der Formen schlie-
ßen können, in denen sich biographisches Interesse Ausdruck verschaffte. Dieser
Eindruck bestätigt sich an den erhaltenen biographischen Texten aus der Kaiser-
zeit. Man wird die Papyrustexte, die Italo Gallo in den beiden bisher erschienenen
Bänden veröffentlicht hat, sicherlich nicht alle ein- und derselben literarischen Gat-
tung zuweisen (Frammenti biografici da papiri, Roma 1975/1980). Ferner sei an die
biographischen Elemente in der Historiographie seit Herodot, vor allem aber seit
dem 4. Jh. v. C. (Theopomp, Duris u. a.) erinnert, an die verschiedenen Formen
enkomiastischer Dichtung und Prosa, an die Memoirenliteratur, sowie an die reiche
anekdotisch-apophthegmatische Überlieferung, die voll ist von biographischen Ele-
menten. Das hat vor allem F. Wehrli gezeigt (Mus. Helv. 30,1973,193 ff). Schließ-
lich ist die bis ins 5., vielleicht sogar bis ins 6. Jh. v. C. zurückreichende biogra-
phische Legendenbildung um Gestalten wie Homer oder Aesop zu erwähnen (dazu
neuerdings Μ. L. West, Entr. Hardt 30, 1983, 121 ff), sowie an die Tradition der
hellenistischen Dichterbiographie, in der nicht nur gelehrtes Interesse seinen mehr
oder weniger formlosen Ausdruck fand, sondern die oft, auch darin der Dichtung
selbst vergleichbar, der Phantasie des Lesepublikums genügen sollte. Darauf hat
u.a. Mary Lefkowitz hingewiesen (s.u. S. 17).
Armida Lamedica (Stud. It. Fil. CI. III 3, 1985, 55ff) hat jüngst mit Scharfsinn
und Gelehrsamkeit den Versuch unternommen, anhand der Oxyrhynchos-Papyri
1800 und 2438 differenzierter, auch hinsichtlich seiner Vorstufen, zu erfassen, was
Friedrich Leo unter dem Begriff der alexandrinischen Grammatikerbiographie sub-
sumierte. Der Versuch hat vieles geklärt, insbesondere das Verhältnis der Schriften
vom Typus περί του δείνα zu den sog. γένη oder βίοι der Dichter und Schriftsteller,
die man ihren Ausgaben voranstellte. Die dabei gewonnene oder präzisierte Klassi-