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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1986, 3. Abhandlung): Die Entstehung der historischen Biographie: vorgetragen am 26. Apr. 1986 — Heidelberg: Winter, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.48146#0041
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Die Entstehung der historischen Biographie

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ros Brutus - in der literarischen Dignität weit unter jener stand. Die Geschichts-
schreibung war, seit sie im 4. Jh. v. C. der Rhetorik subsumiert wurde, zur vornehm-
sten Form der Prosaliteratur nächst den drei Gattungen der eigentlichen Rede
geworden. Aber wichtiger ist ein anderer Unterschied: In allen Spielarten jener
gelehrten Literatur ging es um die Darstellung von Zuständen, Einrichtungen, Her-
vorbringungen - kurz, um Monumente im weitesten Sinn des Wortes. Ereignisse,
auch solche aus dem Leben eines Dichters, Erfinders oder Gesetzgebers, waren
hier insofern von Interesse, als sie Monumente verständlicher machten. In der
Biographie des plutarchischen Typus dienten sie demgegenüber der Illustration des
Lebensvollzuges als eines moralischen Phänomens, nicht der Erklärung einer blei-
benden Lebensleistung. Der Geschichtsschreibung der Griechen und Römer war
es seit alters vornehmlich um die Ereignisse selbst, um die res gestae, gegangen.
Biographisches, Geographisches, Antiquarisches hatte in ihr die Funktion, den
Zusammenhang der Ereignisse einsichtiger zu machen. Zwischen der gelehrten
Literatur biographischen Inhaltes und der Geschichtsschreibung bestand also ein
ähnliches Verhältnis wie zwischen dieser und der eigentlichen, der Vergegenwärti-
gung eines moralischen Charakters dienenden Biographie. Der Hauptgegenstand
der Historiographie hatte für die beiden anderen nur die Funktion, das jeweilige
Hauptthema erläutern zu helfen. Daß weder die „ethologische“ noch die „gelehrte“
Biographie, unbeschadet ihrer jeweiligen, im Einzelnen äußerst variablen Formen
als Medium der Geschichtsdarstellung ungeeignet war, jedenfalls unter den Bedin-
gungen der vorkaiserzeitlichen Antike, hat demnach durchaus sachliche, nicht nur
in der literarisch-rhetorischen Tradition liegende Gründe.
Aus der Perspektive des heutigen Lesers hat die Beschreibung von Zuständen in
Staat und Gesellschaft durchaus ihr historiographisches Gewicht, und zwar gewiß
ein größeres als etwa die Versuche des Polybios, die Charaktere geschichtlicher
Akteure zu verstehen und damit auch Ereignisse verständlich zu machen.
Zustandsbeschreibungen fehlen auch in der älteren griechisch-römischen Historio-
graphie keineswegs, etwa bei Thukydides oder Polybios, aber stets, um Ereignisse
oder Ereigniszusammenhänge zu erläutern und nicht um ihrer selbst willen.
Daß Ereignisse den Inhalt und damit die Legitimation der Geschichtsschrei-
bung bilden, steht schon bei Herodot zu lesen. Gerade dieser Grundsatz aber
brachte, wenn wir Tacitus glauben dürfen, den Geschichtsschreiber der Kaiserzeit
in Schwierigkeiten (ann. 4,32): „Vieles von dem, was ich berichtet habe und berich-
ten werde, scheint, wie mir bewußt ist, geringfügig und der Überlieferung kaum
wert zu sein. Niemand möge das vorliegende Geschichtswerk mit den Schriften der
Autoren vergleichen, welche die frühe Geschichte Roms schrieben. Jene berich-
teten von großen Kriegen, Städteeroberungen, geschlagenen und gefangenen
Königen oder, wenn sie sich der inneren Geschichte zu wandten, über Streitfälle
zwischen Consuln und Volkstribunen, Ackergesetze, Auseinandersetzungen zwi-
schen Volk und Adel, und das alles in freiem Ausschreiten. Meine Arbeit vollzieht
 
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