Die Entstehung der historischen Biographie
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tion der Philosophen gegen den Kaiserstaat. Noch im 3. Jh. n. C. konnte der Senator
Cassius Dio, gewiß kein Gegner der Monarchie, aber eben ein literarisch gebildeter
Mann, in seinem Geschichtswerk dem Maecenas eine Rede in den Mund legen, die
den Augustus davor warnt, göttliche Ehren in Anspruch zu nehmen: Die wahre
Auszeichnung des Monarchen liege allein in der von ihm erworbenen und erwiese-
nen sittlichen Überlegenheit. In gut philosophischer Tradition betrachtet Dio /
Maecenas den Weg der Tugend als den einzigen, der zur Gottähnlichkeit fuhrt (52,
35 f.). Auch bei Herodian ist das Problem, ob es auf die angeborenen oder die erwor-
benen Vorzüge des Herrschers ankomme, ganz gegenwärtig (1,5,5; 1,8,1; 2,10,3; 7,
10,4; vgl. W. Widmer, Kaisertum, Rom und Welt bei Herodian, Zürich 1967,17f).
Der durch und durch monarchische Charakter des römischen Staates seit dem
Beginn des Prinzipates brachte ungeachtet solcher Divergenzen zwischen offiziel-
ler, der Volksmeinung zweifellos entsprechender Religionspolitik und den philo-
sophisch bestimmten Vorstellungen der Gebildeten jedoch jedermann zum
Bewußtsein, daß das Wohl der Menschen nicht, wie es etwa die ältere griechische
Staatstheorie wollte, von der Trefflichkeit der Gesetze und Institutionen, sondern
vor allem von den persönlichen Qualitäten und Fähigkeiten des Kaisers ab hing (vgl.
A. Dihle, Romanitas et Christianitas [Festschrift Waszink] Amsterdam 1973,81 ff).
Nicht Berufung auf Gesetze und Überlieferungen, sondern Übereinstimmung mit
den Intentionen des Princeps kennzeichnet darum den guten und tüchtigen Bürger.
Non est nostrum aestimare, quem supra ceteros et quibus de causis extollas: tibi
summum rerum iudicium di dedere, nobis obsequii gloria relicta est. Das läßt
Tacitus einen römischen Ritter in einer ebenso freimütigen wie erfolgreichen Ver-
teidigungsrede dem Tiberius sagen (ann. 6,8,4). Daß in solcher Lage die öffentliche
Meinung als Qualifikation des Kaisers mehr verlangte als sittliche Vollkommenheit
im Sinn philosophischer Ethik und Erziehungslehre, liegt auf der Hand. Das
römische Kaiseramt erwartete von seinem Träger charismatische Eigenschaften,
mochten diese Erwartungen in der Wirklichkeit auch immer wieder enttäuscht
werden.
Sueton läßt an vielen Stellen seines Werkes erkennen, wie sehr nach seiner
Meinung alles auf die natürliche Beschaffenheit des jeweiligen Kaisers ankomme
(Tib. 59,1; Cal. 29,1; Claud. 34,1; Ner. 26,1 vgl. Wallace-Hadrill 150). Auch Sueton
kennt das aus Polybios und sonst bekannte Motiv, daß ein Herrscher unter dem
Zwang der Verhältnisse oder anderer Einwirkung von außen gegen seine Natur
handelt, und zwar in gutem (Vit. 10,1) wie in schlechtem Sinn: Domitian ist super
ingenium naturae inopia rapax, metu saevus (3,2), und im Fall der Geldgier Ves-
pasians kann man zweifeln, ob sie aus seiner Natur oder aus der Finanzlage des
Staates kam (16,3). Aber entscheidend ist stets die Naturanlage des Kaisers oder
künftigen Kaisers, wie es ein Traumgesicht anzeigt, das den scheinbar so erfolg-
reichen Erzieher Seneca über die unerziehbare immanitas naturae seines Zöglings
belehrt (Ner. 7,1).
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tion der Philosophen gegen den Kaiserstaat. Noch im 3. Jh. n. C. konnte der Senator
Cassius Dio, gewiß kein Gegner der Monarchie, aber eben ein literarisch gebildeter
Mann, in seinem Geschichtswerk dem Maecenas eine Rede in den Mund legen, die
den Augustus davor warnt, göttliche Ehren in Anspruch zu nehmen: Die wahre
Auszeichnung des Monarchen liege allein in der von ihm erworbenen und erwiese-
nen sittlichen Überlegenheit. In gut philosophischer Tradition betrachtet Dio /
Maecenas den Weg der Tugend als den einzigen, der zur Gottähnlichkeit fuhrt (52,
35 f.). Auch bei Herodian ist das Problem, ob es auf die angeborenen oder die erwor-
benen Vorzüge des Herrschers ankomme, ganz gegenwärtig (1,5,5; 1,8,1; 2,10,3; 7,
10,4; vgl. W. Widmer, Kaisertum, Rom und Welt bei Herodian, Zürich 1967,17f).
Der durch und durch monarchische Charakter des römischen Staates seit dem
Beginn des Prinzipates brachte ungeachtet solcher Divergenzen zwischen offiziel-
ler, der Volksmeinung zweifellos entsprechender Religionspolitik und den philo-
sophisch bestimmten Vorstellungen der Gebildeten jedoch jedermann zum
Bewußtsein, daß das Wohl der Menschen nicht, wie es etwa die ältere griechische
Staatstheorie wollte, von der Trefflichkeit der Gesetze und Institutionen, sondern
vor allem von den persönlichen Qualitäten und Fähigkeiten des Kaisers ab hing (vgl.
A. Dihle, Romanitas et Christianitas [Festschrift Waszink] Amsterdam 1973,81 ff).
Nicht Berufung auf Gesetze und Überlieferungen, sondern Übereinstimmung mit
den Intentionen des Princeps kennzeichnet darum den guten und tüchtigen Bürger.
Non est nostrum aestimare, quem supra ceteros et quibus de causis extollas: tibi
summum rerum iudicium di dedere, nobis obsequii gloria relicta est. Das läßt
Tacitus einen römischen Ritter in einer ebenso freimütigen wie erfolgreichen Ver-
teidigungsrede dem Tiberius sagen (ann. 6,8,4). Daß in solcher Lage die öffentliche
Meinung als Qualifikation des Kaisers mehr verlangte als sittliche Vollkommenheit
im Sinn philosophischer Ethik und Erziehungslehre, liegt auf der Hand. Das
römische Kaiseramt erwartete von seinem Träger charismatische Eigenschaften,
mochten diese Erwartungen in der Wirklichkeit auch immer wieder enttäuscht
werden.
Sueton läßt an vielen Stellen seines Werkes erkennen, wie sehr nach seiner
Meinung alles auf die natürliche Beschaffenheit des jeweiligen Kaisers ankomme
(Tib. 59,1; Cal. 29,1; Claud. 34,1; Ner. 26,1 vgl. Wallace-Hadrill 150). Auch Sueton
kennt das aus Polybios und sonst bekannte Motiv, daß ein Herrscher unter dem
Zwang der Verhältnisse oder anderer Einwirkung von außen gegen seine Natur
handelt, und zwar in gutem (Vit. 10,1) wie in schlechtem Sinn: Domitian ist super
ingenium naturae inopia rapax, metu saevus (3,2), und im Fall der Geldgier Ves-
pasians kann man zweifeln, ob sie aus seiner Natur oder aus der Finanzlage des
Staates kam (16,3). Aber entscheidend ist stets die Naturanlage des Kaisers oder
künftigen Kaisers, wie es ein Traumgesicht anzeigt, das den scheinbar so erfolg-
reichen Erzieher Seneca über die unerziehbare immanitas naturae seines Zöglings
belehrt (Ner. 7,1).