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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0019
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1. Handschriftenfunde im frühen 20. Jahrhundert
Vor mehr als fünfzig Jahren, 1935, fiel dem neu ernannten Konstan-
zer Stadtarchivar Max Binder auf, daß der Stadtrat von Konstanz um
1600 seine Akten in Pergamente hatte einbinden lassen, auf denen
altertümliche Schriftzeichen standen. Das hatte dreihundert Jahre lang
niemanden stutzig gemacht. Der Archivar aber stand einem der
findigsten Handschriftenjäger des frühen 20. Jahrhunderts nahe, dem
Beuroner Benediktiner Alban Dold, und wußte von Funden, die seit
1912 Aufsehen erregten.1 In verschiedensten modernen Bibliotheken
waren aus Einbänden Überbleibsel eines Manuskripts zum Vorschein
gekommen, das die Prophetenbücher der Bibel in altlateinischer
Übersetzung dargeboten hatte. Es war wohl zu Beginn des 5.
Jahrhunderts in Oberitalien geschrieben, vielleicht im 9. Jahrhundert
der Reichenauer Klosterbücherei zugeführt, jedenfalls vor dem 14.
Jahrhundert der Konstanzer Dombibliothek einverleibt und um die
Mitte des 15. Jahrhunderts in Konstanz zum Einbinden von wenigstens
26 jüngeren Handschriften zerlegt worden.2
Auch in der Landesbibliothek Karlsruhe war seit 1914 zutage
getreten, daß mönchische Handwerker am Bodensee um die Mitte des
15. Jahrhunderts zum Neubinden Hunderter von Büchern vermeintli-
chen Abfall zerschnitten hatten, darunter ein langobardisches Gesetz-
buch, das im 7. Jahrhundert in Oberitalien aufgezeichnet und im 9.
Jahrhundert entweder nach St. Gallen oder zur Reichenau gebracht
worden war. Mehrere St. Galier Einbände gaben Bruchstücke dieser
Handschrift preis; ein weiteres fand sich im Buchrücken eines Reiche-
nauer Codex, den die Gallusmönche möglicherweise erst im frühen 15.

1 Dazu Helmut Maurer, Nachruf Max Binder, Der Archivar 31 (1978) Sp. 139 f.
Ich danke Helmut Maurer für vielerlei Unterstützung, Frau Gretel Lösch für
zusätzliche Auskünfte über ihren Vater Max Binder. Die Datierung seiner
Aktion nach dem Vorspann der Fragmentenmappe unten Anm. 9.
2 Paul Lehmann, Die Konstanz-Weingartener Propheten-Fragmente (Codices
Graeci et Latini photographice depicti, hg. von Scato De Vries, Supplementum
Bd. 9, 1912) S. I-VII, für Bibliotheksheimat Reichenau; für Konstanz Alban
Dold, Konstanzer altlateinische Propheten- und Evangelienbruchstücke mit
Glossen (1923) S. 1-19, 166-169. Dazu Wolfgang Irtenkauf, Die Dombiblio-
thek, in: Die Bischöfe von Konstanz, hg. von Elmar L. Kuhn u. a., Bd. 2 (1988)
S. 205-213, hier S. 209-211.
 
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