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Arno Borst
er mehr als auf Kombination der Einzelteile. Um sie voneinander
abzuheben, begann er bei jedem Wechsel der Vorlage ein neues
Kapitel und gab ihm eine Überschrift.
Er mußte den Leser auch über Rechenverfahren und Gradeintei-
lung, Kugelprojektion und Winkelmessung, Klimazonen und Tier-
kreiszeichen belehren. Doch reine Arithmetik, Geometrie, Geogra-
phie und Astronomie ließen ihn kalt, die Verheißungen der Astrologie
überging er. Am Astrolab faszinierte ihn allein die Möglichkeit exakter
Zeitbestimmung: „Wenn du die Nachtstunden wissen willst ..., Wenn
du die Zeit der Tagstunden wissen willst ..., Wenn du wissen willst,
welcher Teil der Stunde vergangen ist...“. Das waren zwar alles Zitate
aus den Vorlagen, sie umrissen aber zugleich ein eigenwilliges Pro-
gramm. Der Autor und seine ersten Leser griffen zum Astrolab, weil
sie genauer als die meisten Mitlebenden wissen wollten, was Zeit war,
solange noch Zeit war. Dazu brauchten sie kein überladenes Gerät und
kein verkünsteltes Buch.
Von den Beweggründen des Verfassers schweigt das Fragment, seine
Lebensumstände bezeugt es, wir können sie jetzt präzisieren: Er war
um 995 am Werk, kurz nachdem die ersten lateinischen Traktate vom
Astrolab aus Katalonien eintrafen und kurz bevor man sein Lehrbuch
in Alemannien abschrieb. Weder hier noch dort war er zuhause,
sondern irgendwo zwischen Barcelona und Reims, in einem Kreis, der
seine Zeit auf die Stunde genau zu nutzen suchte. Wie finden wir
ihn?
7. Geistliche Vermittler zwischen Katalonien und Alemannien
Um den Sitz des Autors auf der Landkarte zu orten, müssen wir die
Fährte am Bodensee wieder aufnehmen. Die dortigen Mönche erhiel-
ten das Lehrbuch vom Astrolab schnell und nahmen es so wichtig, daß
sie es sofort abschrieben. Der den Reichenauern das für alemannische
Verhältnisse ungewohnte Tempo vorgab, muß ein einflußreicher und
weitgereister Mann gewesen sein. Hermann der Lahme, 1013 geboren,
kann seine Ankunft nicht miterlebt, sollte aber seine Wirkung gekannt
haben. Bitten wir ihn um Auskunft!
Eigentlich müßten wir ihn geradezu fragen: Welcher Teufel ritt einen
geistlichen Würdenträger, daß er solche Lehrbücher hierzulande
einführte? Denn kein Geringerer als der Papst des Jahres 1000, Gerbert
von Aurillac, wurde alsbald verdächtigt, er sei ein Zauberer gewesen
Arno Borst
er mehr als auf Kombination der Einzelteile. Um sie voneinander
abzuheben, begann er bei jedem Wechsel der Vorlage ein neues
Kapitel und gab ihm eine Überschrift.
Er mußte den Leser auch über Rechenverfahren und Gradeintei-
lung, Kugelprojektion und Winkelmessung, Klimazonen und Tier-
kreiszeichen belehren. Doch reine Arithmetik, Geometrie, Geogra-
phie und Astronomie ließen ihn kalt, die Verheißungen der Astrologie
überging er. Am Astrolab faszinierte ihn allein die Möglichkeit exakter
Zeitbestimmung: „Wenn du die Nachtstunden wissen willst ..., Wenn
du die Zeit der Tagstunden wissen willst ..., Wenn du wissen willst,
welcher Teil der Stunde vergangen ist...“. Das waren zwar alles Zitate
aus den Vorlagen, sie umrissen aber zugleich ein eigenwilliges Pro-
gramm. Der Autor und seine ersten Leser griffen zum Astrolab, weil
sie genauer als die meisten Mitlebenden wissen wollten, was Zeit war,
solange noch Zeit war. Dazu brauchten sie kein überladenes Gerät und
kein verkünsteltes Buch.
Von den Beweggründen des Verfassers schweigt das Fragment, seine
Lebensumstände bezeugt es, wir können sie jetzt präzisieren: Er war
um 995 am Werk, kurz nachdem die ersten lateinischen Traktate vom
Astrolab aus Katalonien eintrafen und kurz bevor man sein Lehrbuch
in Alemannien abschrieb. Weder hier noch dort war er zuhause,
sondern irgendwo zwischen Barcelona und Reims, in einem Kreis, der
seine Zeit auf die Stunde genau zu nutzen suchte. Wie finden wir
ihn?
7. Geistliche Vermittler zwischen Katalonien und Alemannien
Um den Sitz des Autors auf der Landkarte zu orten, müssen wir die
Fährte am Bodensee wieder aufnehmen. Die dortigen Mönche erhiel-
ten das Lehrbuch vom Astrolab schnell und nahmen es so wichtig, daß
sie es sofort abschrieben. Der den Reichenauern das für alemannische
Verhältnisse ungewohnte Tempo vorgab, muß ein einflußreicher und
weitgereister Mann gewesen sein. Hermann der Lahme, 1013 geboren,
kann seine Ankunft nicht miterlebt, sollte aber seine Wirkung gekannt
haben. Bitten wir ihn um Auskunft!
Eigentlich müßten wir ihn geradezu fragen: Welcher Teufel ritt einen
geistlichen Würdenträger, daß er solche Lehrbücher hierzulande
einführte? Denn kein Geringerer als der Papst des Jahres 1000, Gerbert
von Aurillac, wurde alsbald verdächtigt, er sei ein Zauberer gewesen