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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0024
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Arno Borst

der Mitte der erkundeten Welt, an feststehenden heiligen Plätzen in
monumentalen Tempelanlagen ihre rituelle Forschung betrieben. Was
sie dafür brauchten und dabei fanden, meißelten sie am Ort in Stein
oder ritzten es in Ton. Das Astrolab hingegen setzte eine Verschmel-
zung von Bestrebungen voraus, die einander in archaischen Kulturen
widersprochen hatten, in den Großreichen Mesopotamiens und Ägyp-
tens nicht anders als in den Stadtstaaten Griechenlands.11
Die historischen Bedingungen für das Astrolab lassen sich in vier
Gegensatzpaaren umschreiben.
Erstens: Der Augenschein mußte die Erde noch als flache Scheibe
rund um den Betrachter, den Himmel als über ihn gespanntes Zelt, den
Horizont als unverrückbare Grenzlinie zwischen Himmel und Erde
auffassen. Im Widerspruch dazu mußte die Spekulation den Kosmos,
die Gesamtheit von Himmel und Erde, schon als idealen in sich
schwingenden Körper, nämlich als vollkommene Kugel begreifen.
Zweitens: Für die Gläubigen mußten alle biologischen Vorgänge, im
Naturablauf wie im Menschenleben, noch von der zyklischen, ewig
wiederkehrenden Ordnung der Götter abhängen. Gleichwohl mußte
dem einmaligen Augenblick für die Gebildeten bereits entscheidendes
Gewicht zukommen.
Drittens: Die Mächtigen mußten über die kalendarische Festlegung
der Lebensrhythmen schon bewußt verfügen. Dennoch mußten sich die
Freien an die chronologischen Bräuche lokaler Verbände nicht mehr
gebunden fühlen.
Viertens: Die Tätigen mußten in der konkreten Messung des Jetzt
und Hier den Angelpunkt ihrer Entschlüsse suchen. Trotzdem mußten
die Denker die mathematische Abstrahierung und Distanzierung von
bestimmten Zeiten und Räumen zum vordringlichen Ziel ihrer
Erkenntnisse machen.

11 Zu den archaischen Voraussetzungen der Astronomie Waerden, Wissenschaft
Bd. 2 S. 1-52. Heute versteigt sich niemand mehr so weit wie Th. H. Johannes
Baguette, Die Bedeutung des Astrolabiums für die See-Schiffahrt und seine
Verwendung bis zur Einführung des Spiegelsextanten (Diss. phil. Bonn, 1909) S.
16 f., der das Astrolab bei Chaldäern und Ägyptern finden wollte. Zum
hellenistischen Kern dieser Bezeichnungen Bartel L. van der Waerden, Die
‘Ägypter’ und die ‘Chaldäer’ (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften, Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse Bd. 1972/5, 1972)
S. 6-31.
 
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